Fürsprecher
Erinnerungen an Bernhard Poether von Bischof Friedrich Kaiser
ERINNERUNGEN
an Kpl. Bernhard Poether
Friedrich Kaiser, CARAVELI / Peru, 09.02.1981
Herrn Kpl. Bernhard Poether (Kpl. P.) habe ich gut gekannt. Unsere gewöhnlich kurzen Zusammentreffen fanden in Hiltrup statt. Von 1933 bis 1939 wohnte ich dort im Missionshaus. Der gute Bernhard war ein liebenswürdiger, stets gut gelaunter Mensch. Seine kurzen Bemerkungen, die er so einwarf, waren treffend und häufig witzig. Er lachte gerne. Ärgerlich oder gar bitter hab ich ihn nie gesehen, nicht einmal wenn wir, in perfekter Gesinnungsgemeinschaft, auf die Braunen zu sprechen kamen.
Während der ersten 5 Jahre nach ihrer Weihe hatten die Priester alljährlich im Seminar ein Repetitionsexamen abzulegen. Dann kam Bernhard regelmäßig eine Woche vorher nach Hiltrup zu seinem Elternhaus. Doch verbrachte er täglich vormittags wie nachmittags einige Stunden im Missionshaus. Er zog sich auf ein recht ruhig gelegenes Zimmer zurück um sein Examen vorzubereiten.
Während der Jahre, die er in Polen Verbrachte, erzählte mir sein Vater oft und mit frohem Stolz, was sein Sohn geschrieben hatte, wie es ihm ging, was er studierte und arbeitete. Zurück von Polen, legte Bernhard eines Abends die volle Kleidung an, wie er sie im Osten zur Winterzeit getragen hatte und stelle sich so im Familienkreis vor. Auch das erzählte mir Herr Poether in allen Einzelheiten.
Ich reiste im März 1939 nach Peru. Nach 11 Jahren kam ich zu einem Urlaub zurück. Im Februar 1950 besuchte ich in St. Joseph in Bottrop meinen alten Freund Dechant Bruns (D.B.). Gleich am ersten Tag, in langer Abendunterhaltung, erzählte er mir das Drama seines guten Kaplans Bernhard. Das Eindruckvollste des erschütternden Berichts haftet noch klar in meinem Gedächtnis:
Während des Einfalls und des Vormarsches der Deutschen in Polen, wurden in Bottrop eine Reihe Männer polnischen Namens und Ursprunge eingekerkert. Kpl. P. bemühte sich sofort um sie, aber ohne Erfolg. Dann wurde ihm ein Fall bekannt, in dem er sicher War, was erreichen zu können. Er suchte die Polizei oder ein Nazi-Büro?) auf, und bat den betreffenden Mann freizulassen. Er legte dar, dass es sich um einen völlig harmlosen und ganz eingedeutschten Mann handele, und dass sein Sohn, im deutschen Heer in Polen kämpfe. Der Bittsteller wurde höhnisch abgewiesen. Da sagte Kpl.P. mit erregter Stimme den Braunen ins Gesicht: "Wenn der Sohn im deutschen Heer gegen Polen kämpft, dann ist es doch ein reiner Irrsinn, seinen Vater als gefährlichen Polen gefangen zu halten". Mit dem Wort "Irrsinn" stach Kpl. P. in ein Wespennest. Er wurde angeschrien, beschimpft, bedroht und zur Tür hinausgewiesen. Wenige Tage später verhafteten sie ihn. Er verschwand im Gefängnis.
Die Verhaftung rief unter dem Volk bitterste Entrüstung hervor. Die Nazis befürchteten einen Tumult; und sowas kam ihnen am allerwenigsten aus. Denn selbstverständlich würden sie verantwortlich gemacht werden. Und das alles, während Göbbels sein bestes tat, um das Volk bei guter Stimmung und im Siegesrausch zu bewahren. Auf dem Hintergrund dieser Bemühungen des Propagandaministers hätten die braunen Helden von Bottrop eine sehr schlechte Figur gemacht, wenn sie hätten melden müssen, dass ihre "Untertanen" gar nicht siegesselig sondern höchst verstimmt und wütend seien. So versuchten sie, sich des Falles Poether schleunigst zu entledigen und dabei schlau vorzugehen, um nicht ihr Ansehen zu verlieren. Sie reichten daher dem Gefangenen einen eigens zu diesem Zweck fabrizierten Fragebogen in seine Zelle. Kpl.P. durchschaute die Sache sofort. Unter einer Reihe bedeutungsloser Fragen las er die folgende: "Wenn Sie einen Deutschen und einen Polen in großer Not anträfen, wem würden Sie zuerst helfen?" Nun brauchte er nur zu schreiben "Dem Deutschen", dann würden sie ihn freilassen. Eine großartige Begründung würden sie schon zusammendrehen. Vielleicht würde sie lauten: Auf Grund der Tatsache, dass der Gefangene B. Poether sich schriftlich und ganz eindeutig zum deutschen Denken und Empfinden bekannt hat, wird er aus der Haft entlassen. Und sie hätten das Volk wieder ruhig gehabt. Doch Kpl.P. schrieb zu jener Frage, wem er zuerst helfen würde, die Antwort: "Demjenigen, der in größerer Not wäre". Damit war der Würfel gefallen, aber nicht "zufällig gefallen"; Kpl. P. hatte ihn vielmehr bewusst geworfen, d.h. der Bekenner hatte gesprochen.
D.B. muss danach im Gefängnis mit seinem guten Kaplan noch eine Unterredung gehabt haben; so habe ich D.B. damals verstanden und so hab ich es immer in Erinnerung gehabt. Er erzählte mir, dass unter den Wachbeamten einer gewesen sei, den er "treu wie Gold" nannte, Durch ihn hat er sich immer wieder mit Kpl. P. verbinden können. In jener Unterredung, so meine ich, hat D.B. jene Fragebogengeschichte erfahren. Kpl. P. versicherte seinem priesterlichen Freund, dass er so geantwortet hätte und fügte bei: "Ich wusste, dass ich damit mein Todesurteil unterschrieb". Ich sagte darauf zu D.B. "Ganz so war der Bernhard"! Darauf D.B.: "Ja, so war er, mir war von Anfang an klar, dass sie ihn nicht kleinkriegen würden; er gab keinen Grundsatz preis".
Durch den erwähnten guten Beamten erfuhr D,B. den genauen Tag, an dem sie seinen Kaplan abtransportieren würden. Nachmittags vorher schlich er sich ins Gefängnis ein. Bei sich trug er in einem kleinen Briefumschlag eine geweihte Hostie. Er vermochte den Briefumschlag dem guten Beamten abzugeben, der ihn Kpl.P. einhändigte.
D.B., der immer ruhige, erzählte nun mit einem fast erregtem Akzent weiter: "Da grad als ich dem Beamten das Allerheiligste überreicht hatte und versuchte, wieder ungesehen zu verschwinden, da wäre es fast zum Unglück gekommen. Die Frau eines der Beamten, die als fanatische Nazisse (Anm. siehe unten) gefürchtet war, kam mir in den Weg, Offenbar erkannte sie mich noch nicht. Es war in der Dämmerung, bei kaltem Märzwetter. Ich hatte den Kragen meines Überziehers hochgeschlagen. Da bog sie zum Glück in einen Seitengang ein, ehe sie mir zu nahe kam"
Weiter sagte mir D.B.: "Bernhard hat dann die ganze Nacht vor dem Allerheiligsten Anbetung gehalten. Am frühen Morgen kommunizierte er, und am selben Tag war der Abtransport", - - - dies letztere mag D.B. von dem zuverlässigen Beamten erfahren haben.
Jetzt, da ich all dies wieder überdenke und niederschreibe, kommt es mir vor, als blätterte ich in Märtyrerakten der Urkirche und machte mir Notizen. Persönlich bin ich überzeugt: Hier haben wir Nachrichten über einen der vielen tausenden von Heiligen unserer Märtyrerzeit.
+Friedrich Kaiser, Bischof
Anmerungen:
- Nazisse = Nazionalsozialistin
- die genutzte Schreibmaschine hatte keine Umlaute, daher wurden diese und das "ß" korrigiert
- die beiden Seiten tragen den Stempel und die Paraphe bzw. Unterschrift von Bischof F.Kaiser
- Webseite Bischof F. Kaiser u.a. zu Bernhard Poether
Erinnerungen an Bernhard Poether von Jan Markowski
Übersetzung des Textes von Jan Markowski aus der Zeitschrift „Wrocławski Tygodnik Katolików“ (WTK) vom 21. Februar 1960, S. 3.
Der Priester Bernhard Poether
opferte sein Leben für die Gerechtigkeit.
Der Artikel über Pater Kolbe (WTK Nr. 3), der sein Leben für einen Mithäftling geopfert hatte, erinnerte mich an den deutschen Kaplan, der sich mutig für die unschuldig verhafteten Polen einsetzte und dafür in einem KZ mit seinem Leben bezahlen musste. Es war der Priester Bernhard Poether, geb. in 1906 in der Nähe von Münster.
B. Poether wurde 1932 zum Kaplan geweiht; er war Seelsorger in einer Bottroper Pfarrei, in der viele Polen lebten. In seiner Arbeit (seinem Tun) spielten für B. Poether nationale Unterschiede keine Rolle. Sein einziger Wunsch war eine Vereinigung in Christus. Zur gleichen Zeit begann die Hitler-nahe Presse eine scharfe Kampagne gegen die in Deutschland lebenden Polen. Die Aktivitäten der polnischen Organisationen wurden von der Gestapo penibel beäugt, die Sturmabteilungen störten die Durchführung von Polnisch-Kursen für Schulkinder und überfielen Lokalitäten, in denen sich die polnischen Jugendlichen trafen. Jenen Priestern, die in deren Kirchen polnische Gottesdienste veranstalteten, wurde mit Zerstörung der „Buden“ (Kirchen) gedroht, falls sie ihre feindlichen Aktivitäten nicht unterlassen würden.
Doch sogar in diesen widrigen Zeiten hatte B. Poether seine polnischen Gläubigen nicht vernachlässigt. Als in der Nacht des 10. September 1939 234 Mitglieder der Vereinigung der Polen in Deutschland verhaftet wurden, davon 9 aus der Bottroper Pfarrei, hatte B. Poether sofort bei der Gestapo interveniert und sich nach dem Grund der Inhaftierung erkundigt. Man hatte ihn abschätzend als Feind des deutschen Volkes abgefertigt.
Davon unbeeindruckt, begab er sich zum dortigen Chef der Gestapo, Sparkmann. Ohne Erfolg versuchte er die Unschuld seiner Gemeindemitglieder, die zu keinerlei Straftat fähig wären, zu beteuern. Sparkmann gab ihm zu verstehen, dass auch er als „Schwarzer“ (Priester) verhaftet werden könne, falls er sein Interesse an den Häftlingen nicht aufgeben würde. Tatsächlich fand sich B. Poether einige Tage später in einer Gefängniszelle neben seinen Gemeindemitgliedern. Dank des Gefängniswärters Kleinmeier, eines praktizierenden Katholiken, konnte B. Poether den Kontakt zu seinen Gläubigen pflegen und ihnen – in dieser schweren Situation – Trost spenden, und organisierte die Übermittlung von Lebensmitteln und Nachrichten von den Familien der Inhaftierten.
Am Abend des 25. September (1939) hatte uns B. Poether benachrichtigt, dass wir am nächsten Tag in das Essener Gefängnis verlegt würden. Am frühen Morgen hat er uns die Absolution erteilt. Ab dann haben wir den Kontakt zu ihm vorerst verloren. Wir wurden in andere Gefängnisse gebracht und später in das Lager Sachsenhausen.
Mitte Dezember (1939)[1] fand sich auch B. Poether in Sachsenhausen ein. Er wurde sehr streng behandelt. Viele Tage verbrachte er alleine in einem dunklen Bunker. Als man ihn danach fragte, ob er nach möglicher Freilassung, seine Arbeit unter den Polen aufgeben würde, lehnte er das ab.
Kaplan B. Poether ermunterte „sein Volk“ (seine Gläubigen) nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zum Glauben und zur Bezeugung der Wahrheit. „Ich bin ein Mitarbeiter im Weinberg des Herren“ – bezeugte B. Poether –, „daher darf ich jene nicht vernachlässigen, die mir anvertraut wurden.“
B. Poether wurde aus Sachsenhausen in das Konzentrationslager Dachau verlegt. Dort beendete er sein Leben am 5. August 1942. Den Polen wird er für immer als ein Beispiel eines Menschen und Priesters bleiben, der Gerechtigkeit und Wahrheit über alles stellte.
Auf der von der Vereinigung der Polen gestifteteten Erinnerungstafel zur Erinnerung an jene, die deren Leben für die „polnischen Belange“ gelassen haben, steht Kaplan Bernhard Poether an erster Stelle.
Die Erinnerung an ihn möge bleiben!
Jan Markowski
ehemaliger Vertrauensmann der Vereinigung der Polen
der Stadt Bottrop
[1]Das Datum ist nicht korrekt. Poether wurde am 28. Februar 1940 in Sachsenhausen mit einem Transport von 12 weiteren Gefangenen eingeliefert.
Anmerkung: Weitere Informationen zu diesem Text finden Sie im Artikel "Eine verlorene Gedenktafel und ein früher Brückenschlag"