Das Fahrtenbuch von Bernhard Poether (1924/25)
Bistumsarchiv Münster,
Georgskommende 19
48143 Münster
Dokumentenkarton I, Akte 1
Das Fahrtenbuch von Bernhard Poether (1924/25)
Transkription: Elisabeth Georges, Sigrid Mangels, Ulrich Jaunich (Mitglieder des AK Pother)
Einführung: Monika Kaiser-Haas (Mitglied des AK Poether)
Die Akte A 1 enthält das Fahrtentagebuch Bernhard Poethers aus den Jahren 1924/25. Es ist ein überzeugendes Dokument seiner Reisen, Wallfahrten, persönlicher Aktivitäten, Begabungen, Interessen und Einstellungen, der Fahrten und Lager mit den Jugendgruppen.
Bis zu 50 km zu Fuß pro Tag legte Bernhard Poether mit den Jugendlichen zurück. Seine Haltung: „Erwandern in Gottes Natur“ mit einem Affen (Rucksack) auf dem Rücken, Zelten (Zitat aus Sowade, 2014, S. 19, "Kaplan Bernhard Poether - Ein Lebensbild", in: Spieker (Hrsg.) 2014, S. 19.). Auf Nikotin und Alkohol verzichtete man; dafür war die Teilnahme an der Messfeier selbstverständlich. Freude, Gespräche, das gemeinsame Feiern und der Gesang, unterstützt durch das Spielen mit Gitarren (Klampfe) und Geigen (Fiedel) am Lagerfeuer - all das entsprach den Idealen der damaligen katholischen Jugendbewegung. Eine Paddeltour auf der Ems gehörte selbstverständlich auch dazu.
In seinem Fahrtenbuch ist der Schöngeist Bernhard Poether ebenso zu erkennen wie sein ausgeprägter Kunstsinn.
***
Das Fahrtenbuch von Bernhard Poether wurde 2011 von Elisabeth Georges, Sigrid Mangels und Ulrich Jaunich transkribiert. Es ist ein umfangreiches Zeugnis, das in Zukunft ausgewertet werden kann.
Beschreibung
Das Fahrtenbuch enthält rund siebzig eng mit der Hand beschriebene Seiten.
Der orange-rote Leineneinband ist gut erhalten, der Vorderdeckel trägt den Titel „Mein Fahrtenbuch“ (siehe Abbildung).
Im vorderen Deckel sind einzelne lose Blätter mit gesammelten Zeitungsausschnitten eingelegt worden. Dabei handelt es sich um teilweise von Bernhard Poether selbst verfaßte Artikel aus den Jahren 1922-1930/ 31, so z.B. „Auslandsfahrt eines Münsteraner Studenten/ Von Bernhard Poether“ (gemeint die Reise nach Antwerpen und Brüssel in: Münsterscher Anzeiger, 13./14.11.1930=. Außerdem findet sich hier eine Fassung des Gedichtes „Goldemar, der Heidekönig“, Münsterscher Anzeiger, 1922, geschr. 1920 (von Poether?), sowie eine zweite gekürzte Version von 1925.
Transkription "Mein Fahrtenbuch"
Mein Fahrtenbuch
Seite 1
26.12.24
2
Wenn ich auf meiner Bude über den Büchern hocke, dann geschieht es wohl mal, dass mich das „Kruh- krah“ eines Kranichzuges aufweckt und zum Fenster treibt. Dann wird mir oft das Herz zum Zerspringen voll. Dann möchte es weinen und singen zugleich. Dann umspielen mich die sammeten Weidenkätzchen des träumenden Emstales, während laufende Spessartgeister Ringelreihe um mich her tanzen und der Main im leisen Rhythmus seine Weisen dazu fiedelt.
Dann überkommt mich die Sehnsucht nach draußen, nach draußenluft und draußenlauten, eine Sehnsucht brennend heiß wie die Nessel. - doch läßt sich des Greifen Drang zum Flug in Worte fasssen, des Urwandervogels, den ein unwiderstehliches „Müssen“ zum Süden drängt und ein ebenso unwiderstehliches „Sollen“ zum Norden zurück treibt, der kein Vaterland kennt, nicht im eisigen Norden und nicht im lachenden Süden? - -
Es sollen diese Blätter nicht eines Fahrenden Seelenspiegel sein, noch weniger ein Teegebäck für manche Spießer, die noch nie dem unwiderstehlich-bezaubernden Schlafliede lauschten, das des Windes leise Harmonie durch den Riß der Zeltbahn pfiff, nein! Für meine Fahrtgenossen sind sie bestimmt, echte Vaganten
3
und Landsknechte und auch für mich, damit sie mir im Lexikon, nein! im Kranichzug seien, der mich in späten Feierstunden an das Feine und Grobe bunter Fahrten erinnern sollen(!), an die Zeit von Lied und Licht und Kampf und Sieg! (1923)
Ein Heidgang
Ein Heidgang
16.11.21
Es ist gegen fünf Uhr morgens. Leise öffne ich das Fenster meines Schlafzimmers im Hause des Heidonkels. Ein leiser Lufthauch überbringt mir die duftenden Grüße der blühenden Jungfrau im Purpurkleide. Da packt es mich und treibt mich mit unwiderstehlicher Macht hinaus zu ihr. Ein Sprung, und ich stehe im Vorgärtchen. Eine Latte des Weinspaliers bricht und weckt durch ihr Krachen Spitz, den Behüter des Gänsestalles. Ich denke an die Kapitolinischen Gänse und meine, im nächsten Augenblick müsse M. Manlius erwachen und mich entdecken. - Minutenlang stehe ich im Strauchwerk und lausche. Da des Onkels Fenster aber geschlossen bleibt, pürsche ich mich vorsichtig hinaus ins Freie. Erst als mich die ersten Birken und Wacholderbüsche in ihren Schutz aufgenommen haben, atme ich auf. - Im Osten rötet sich der Himmel; die Sonne geht auf. Ihre ersten Strahlen fallen auf die Tautropfen, die in dem kniehohen Heidekraut wie tausend und
4
abertausend Diamanten funkeln. Im erwärmten Sande des schmalen Heidespfades tummelt sich der Goldlaufkäfer und vor mir spielen zwei große Schimmerfalter im Sonnenschein. Nach kurzer Zeit bin ich an einem Bruchwalde angelangt. Krüppelhaftes Birkengebüsch vertritt unseren westfälischen Hochwald. Ein Häher hat mich eher gesehen als ich ihn und warnt seine Nachbarn. „Krah, krah“, „was ist denn los fragt ein Krähe. Nochmals warnt der Häher. Langsam, mit schwerem Flügelschlag fliegt darauf ein Krähenpaar ab. Hochhimmel tönt es aus der Ferne: „Krah, krah“, dann ist alles totenstill. Vor mir springt Meister Lampe aus dem Gebüsch. Zuerst rennt er was das Zeug halten kann; dann stutzt er, spitzt die Ohren und schlägt endlich vor Freude ein paar Purzelbäume, weil er bemerkt hat, daß mein Stock nur ein Stock ist. Da kann auch ich nicht länger an mich halten. Als ich vor mir den übermütigen Lampe, über mir den sonnigen, lachenden Himmel und um mich herum die bezaubernd-duftige Heide sehe, laufe ich vor lauter Freude wie ich nur laufen kann. Dann werfe ich mich erschöpft ins die schöne, weiche Heide. Dort liege ich lange in Träumen sonniger Freude. - Ein eigenartiges Gebimmel weckt mich aus meinen Träumen: Ein Schäfer weidet seine Herde in üppigem Heidekraut.
5
Eifrig an seinem Strickstrumpf arbeitend grüßt er freundlich. Ich schaue ihm ins wetterfeste Antlitz und seine blauen sonnigen Augen und als sich unsere Blicke begegnen, fühlen wir es beide, wir sind Brüder, wir sind Kinder der blühenden Heide. Stumm schreiten wir Zwei, der alte graue Schäfer und der fünfzehnjährige Taugenichts durch des Herrgotts schönen Blumengarten. Dann beginnt der Alte zu erzählen. Vom alten Wielage, vom Moorpeter, vom Heidekönig und von vielen Anderen. Der Schäfer treibt nach kurzem herzlichen Abschied seine Herde heimwärts. Die Sonne sinkt: Scharfumrissen hebt sich auf kahlem moosbewachsendem Heidhügel der schwarze Wacholder gegen den Abendhimmel ab. Noch ein letzter Strahl und die Sonne ist untergegangen. Der Mond wird am Himmel sichtbar. Allmählich kommen auch die Sterne zum Vorschein, zuerst schwach, dann deutlicher und schließlich funkeln sie in ihrer ganzen Pracht. Da stehe ich allein am Heidehügel, schaue freudig bewegt zum Sternenhimmel und spreche: „Herr, Du bist groß und gut!“
Miene Heimat!
Miene Heimat!
Bild: Das Posthaus in Horstmar ( 1910)
Miene Heimat is en Krans, en Krans van Eekenlauf un wilde Rausen. In Maien dau un Sunnenlecht hät de leiwe Häer em wunnen. De Lewinge, de`t nich mähr afwochten konnen, bis dat graute Wiärk färdig was, sind to Höchten fluogen, un met öhre hellen Stimmkes häbbt se`t auk de Menskenkinner toroopen, wu guett de Häerguott is. - In de Schrift hett et:
„An`n GunsdagKiemten Gräs un KrutUn Baum un Struk,un jede Aortdruog siene Saot.“Dat was de Dag wao Guott sienen Krans üm mien oll Vaderhus henlagg, un noch ümmer drömt de ollen Müern dao, in`n Grönen, in`n stillsten Hok von`t Mönsterland.
Bild: Torhaus „Dernebockholt“ Hiltrup
7
Alle Jaohr eenmaol kümmp düsse Schöpfungsdag wier: dat Fröhjaohr. Wann de Maidag met siene blaoen Flittken dört Land flügg un de kleinen Blomen sick ut'n Slaop weckt un sick öhre Kinneraigskes blankputzt. Dann juchheit auk de Lewinge wier üewert Feld. Nüörns is't dann so wiällig un so üöwermödig äs in't Mönsterland. Sölwst de kleinen Buernbennätzkes, de doch so „schüchtern“un so „verschlossen“ sien söllt, wirt`t uut öhr Plaseer nich te bliewen.Up alle Anneweiden un an jede Biärke, wao män iäben Sappholt wäß sind de Jungens an`t Fleitpiepen maken.Dagelank klingt dann dat Sappkloppen un Ssingen üewer de Kämpe.
„Sipp, sapp sunne,Mien Moder is ne Nunne.Mien Vader is en Papen,Konn so schön Piepkes maken.Wull mi kienen giewenIck droff em kienen affniemen.“-Un erst dat Liäben in de Wallhieggen! Dao giff`t Schniggenhüser un Vuggelnöster, dao kann man Eekskes jagen un Fösse utgrawen un dat raorste Wunnerkrut wäß dao män so ut de Knubben harut.Män wenn ut dat Sappholt gewüenlicke Wiedden wärdt, un in de Wallhieggen nu de Schwattdörn nich mähr düörlött, dann kümp de Tied, wao de ganze Welt in baor Lucht schwemmt, dann kümp de Tied, wao jede Kastanienbaum dusend Kärssen upstickt, un jede Brink un jede Höcht äs`n Meer von Füer un Gold un Sunnenglans wiet in`t Land harin löcht`, dann kümp de Tied wao de Braohm bleiht.-Well de Summerhochtied metfiern will, de mott sick van
8
alle Wiarkeldagsarbeid loßrieten wenn de Kastanienbaim öhre ersten Kärssen upstickt, de mott frie sein, wenn de Braohm bleiht.-Aower alles häff siene Tied.-Wenn de Braohm all`sienen Hannig an de Immen un Hummeln utdeelt häff, un wenn use Augen sick auk an de Kastanienbaim sattkieken häfft, un wenn blos noch twei of drei Blomenblättkes in de Dörnenkron von usen Heiland liggt, de von den Kastanienhüeggel dat Feld üöwerkick, dann lacht nich blos mähr dat Blagentüg, dann geiht dat Lachen auk bi de Ollen an. Dann kümp de Tied, wao de Buer bie de schwörste Arbeit fleit`t, un da de Meerschke bie`t Pannekokenbacken singet, wenn se auk gleiht äs ne Pingstrause. Dann kümp de Tied, wao dat Seißendengeln hell un klaor üewert Feld klinget, de Tied, wao Guotts Siängen van`n Acker in`t Hus harin treckt. Un wenn dat leste Foer goldengiäll üewer de Suoll schwankt is, un de Maibaum üörnswo de Niendör nickköppet, dann riff sick de Buer de Hänn un spräck
9
den Häerguott up siene Aort sein Dankgebätt: „Man kann em süß alles anvertruen män blos kien drüg Koorn, män düt Jaohr häff he`t doch guett met us mennt.“Wenn de Sunn van Buotterpatt gohen is un de Niewwel sick up`t Feld legg, dann geiht up de ollen Buernhüöwe dat Hickeln un Spinnen an. - Wenn dat Rad snurrt un de Außenwind an de Fensterklappen ritt, dann is`t auk de rechte Tied för Spokgeschichten. Dann kuemt all de ollen Vertellsels wier an`t Lecht, von de Sunndagsspinnerin met öhren blödrigen Arm, von den .... Smallaken, de in de Dawert wiergohn mott, von`n Heidemann un von`n Grienkensmitt met sien Braotspitt. Een Waort giff daobie dat annere un anlest sind alle Miägde so betuckt, dat nich eene,- för`n Dahler nich äs- ut`n Stuob`n göng.
To de schönsten Stunnen, de man up`n Buernhoff beliäwen kann, gehört de Aobende an`t Härdfüer. Wenn de Kiettel an`n Haohl üewert Füer summt, un de Rauk so sachte in`n Baosen stigg, dann uewerkümp`t em manks so eegen, dann mögg man singen un grienen togliek. - Of dat dat Geföhl „Heimat“ döht?
Leeder Guotts is met dat Upkuemmen von Industrie un Fabrikenkraom mannige Spinnstuowe un met öhr mannige Wallhiegge ingohn. Jau, sölwst an dat olle plattdütsch hätt man sick waogt, awer gans laot wie us doch nich unnerkriegen denn: “Wenn`t in Westfaolen kiene Wallhieggen un kien Plattdütsch mähr giff, dann ist ``Schönste drut.“ ( Bischof Johann Leonhard)
Eistreiben auf dem „Dortmund-Emskanal“
Eistreiben auf dem „Dortmund-Emskanal“
I. März 22
Besenreiser soll ich holen! - Doch das habe ich auf dem Wege zu Bornemanns Brahmkamp bald vergessen. Hoch oben vom roten Brink her schweifen meine Augen über den weiten Brahm dahin. Da bricht ein kecker Sonnenstrahl durch das Gewölk, wo eben noch der aschgraue Himmel den Boden zu berühren schien, entsteht jetzt ein Gleißen und Glitzern wie von unermeßlichen Silberschätzen aus dem Sagenreich. Ich fliege dahin durch den hüfthohen Brahm, über Stoppelfelder und Weidenflächen. - Ein zartes, feines Klingen dringt an mein Ohr, wie wenn im Sommer die Glockenblumen läuten. - Und doch ist es so ganz anders: klarer und voller. - - da, - soweit das Auge reicht, ein endlos langer Streifen gigantischer glasklarer Eisplatten in wechselvollem Zauber besät, mit scharfkantigen, grünschimmernden Brocken. Manche von ihnen sind kopfdick, manche schimmern nur als winzige Eierlein im Sonnenschein. Von dort wo der Wind unbehindert vom hohen Uferdamm sein rauhes Regiment führt, wandern die Kristallgeisterchen aus, in dem sie in neckischem Spiel sich gegenseitig stoßen, kichern und silberhell lachen. An den verlassenen Plätzen aber siedeln sich verkommene Existenzen an,
11
ausgestoßen aus der Gesellschaft „brauchbarer“ Gras- und Kräutergeister, fristen sie hier ihr kümmerliches Dasein. Eben taucht ein erfrorenes Bleierlein aus dem schmutzig-grauen Wasser auf; das wird natürlich sofort von diesen nichtsnutzigen Gaffern umringt. - Klatschend – bevor noch eine Scholle, die von der Eisflotte verschlagen herbeigeeilt ist, um das Fischlein in seinen Schutz aufzunehmen, fliegt eine Krähe herbei, sitzt einen Augenblick auf der schaukelnden Eisplatte und klappert dann mit der Beute im Schnabel siegesfroh ab. Lautlos pirscht sich links aus dem Dickicht ein Sperber heran; doch er kommt zu spät, wenn er es nicht nur auf Flossen und Gräten abgesehen hat, denn eben fliegt der Räuber auf und verspottet mit einem übermütigen „Krowks“ den ungeladenen Gast. -
Bald ist es wieder still auf dem weiten Kamp. Nur ein leises Flüstern noch, geht durch die Luft, ein Flüstern von schwellenden Knospen und sprießenden Gräsern. Aber immer noch singt und klingt, voll und klar, der alles bezaubernde Klang von tausend Kristallglöcklein: Es läuten die Wasser den Frühling ein!
Eine Phantasiefahrt durch die „Hohe Ward“
Eine Phantasiefahrt durch die „Hohe Ward“
24.IX.23.
Wild rast der Nord-Ost über die Heide. Klatschend schlägt der Regen an die Scheiben der Pumpstation. Da halten es die münsterischen Ausflügler draußen nicht mehr aus, und auf dem Wege zum „Dicken Weib“ nimmt sich mancher von ihnen so aus wie ein begossener Pudel; selbst der eingezogene Schwanz des Köters ist getreu wiedergegeben in dem nassen Zipfel des „Kött“. - Der Wirt zum „Dicken Weib“ reibt sich wegen der unverhofften Geschäfte vergnügt die Hände, die Wirtin wirft noch schnell eine Busche auf's Herdfeuer und bald ist die ganze Schar wieder durchwärmt. Dann langweilt man sich hinter einem Pott Bier oder schätzt die Zeit zwischen Blitz und Donner, und ein alter Professor notiert sich den Grad des Winkel in dem der Regen die Scheiben trifft.
Jetzt, da alle „Städtsken“ in die Flucht gejagt sind, regt es sich im Dickicht des Föhrenwaldes. Ein Junge mit geröteten Wangen und glänzenden Augen setzt über einen Graben und steht im nächsten Augenblick auf dem hohen Wege. Dann wendet er sich zur Wirtschaft „Dicke Weib“ und lacht, lacht bis ihm fast der Atem ausgeht. Dann schnuppert er in der Luft umher und stellt befriedigt fest, daß der Wind auch „städtsken Gestank „ nach „Dicke Weib“ vertrieben hat. „Heil Dir Goldemar!“ ruft er da aus, „Heil Dir, daß Du Dein Land wieder von der „städtsken Brut“ gesäubert hast.“ - Auf dem hohen Wege läuft er weiter und
13
freut sich daran, wie der Regen an seiner langen Mähne herunterrieselt. Eben kommt er an der Pumpstation vorbei und bewundert Goldemars Dachabdeckerarbeiten, da ertönt ein dumpfes Rollen des Donners, ein Blitz, ein Krach - und ein Telegraphenpfahl bricht links neben ihm zusammen. Hell lacht er da auf, nicht aus wilder Lust an dem Bild der Zerstörung, nein! strahlende Freude über die Macht des Rechts malt sich auf seine Züge. Endlich verfolgt er in ernster erwartungsvoller Spannung den Pürschpfad im Fichtenbestand, und selbst der heisere Spott des Hähers bringt ihn nicht mehr in seine frühere Verfassung zurück: Bald glaubt er rechts den Geiger ohne Kopf zu sehen, bald links ein Flüstern zu hören wie: „Kuort' Ell', schmall Laken, lichte Gewichte!“ Er meint es sei ein Fiebertraum und rennt und rennt bis er zu einer Lichtung kommt. Aber nein! Das ist keine Lichtung! Da ist ein weiter freier Platz; da stehen neben– und hintereinander Lokomotiwen und Wagen und Schuppen und Werkstätten. Da ist ein Pusten und Stöhnen, ein Hasten und Treiben: Da steht ein Bagger und wühlt und bohrt und dampft. Fern im Hintergrunde aber stehen tiefschwarze Föhren und hoch in der Mitte über ihnen streckt
14
die Sonntagszimmerin ihren blutigen Arm aus. Doch man beachtet sie nicht! Nein es ertönt ein greller Pfiff, und ein Zug hochbeladen mit gold-rotem Sande dampft ab nach Münster. Hoch oben aber auf dem hohen Brink steht der wilde Junge; mit fliegendem Haar und wildverzerrtem Gesichte krallt er seine Finger in die leere Luft und immer wieder zittert der Schrei: „Goldemar, man raubt Dir Dein Gold, - Dein Gold!“ Dann springt er in ohnmächtig – wildem Schmerz die hohe Böschung herab in den weichen aufgewühlten Sand, und rast dahin über die weite aufgebaggerte Erde, bis es ihm vor den Augen flimmert. - Als er wieder erwacht, liegt er in dem harten Gestrüpp eines einsamen Heidehügels. Er glaubt anfangs, er habe nur einen bösen Traum geträumt; aber nein! so bitter kann kein Traum sein; so bitter kann nur die Wirklichkeit sein! Er richtet sich in seiner ganzen Größe auf und steht da in seiner Jugendkraft, hoch oben auf dem „Galgenhügel“. Sturm und Regen haben nachgelassen. Der erste Sonnenstrahl bricht durch das Gewölk und bestrahlt seine Jungschönheit. Da, ein Geräusch! Das ........... einer Baggermaschine. Er blickt um sich und gewahrt seinen Traum, - nein, sein Erlebnis. Da rafft er sich noch einmal auf. - Fliehen um jeden Preis. Wie von Furien gehetzt, rennt er dahin über die Heide. Nur ein Ziel kennt er jetzt noch: das Königsgrab. Als er aus neuem Dickicht hervorbricht, sieht er es vor sich liegen, mitten auf der blumigen Wiese. Ein wildbewachsener Hügel, rings umschlossen
15
von einer Gräfte. - Goldemars Grab. - Kein Laut öden Weltgetriebes dringt durch die dichten Wallhecken. Mit geheimnisvoller Scheu in den Augen schleicht sich der wilde Junge näher heran. Dann klettert er behutsam, um kein Zweiglein zu brechen, auf die höchste Birke des Königsgrabes und singt zu den machtvollen Begleitakkorden des Ostwindes:
Von Goldemar, dem edlen HeidekönigTräum' ich, wenn ich in seinem Land verweile. Dann reicht er stumm die blaue Blume mir Und jagt auf starkem Roß dahin in Eile.
An Goldemar, den mächt'gen HeidekönigDenk' ich, wenn in der Ward die Sandbahn dampfet, Dann ward' ich still im nahen Föhrenwalde,Ob er sie nicht zerschmettert und zerstampfet!
In Goldemar, dem wilden HeidekönigSeh' ich den Grund, wenn reißt ein Leitungsstrang, Wenn stürzt ein Pfahl, wenn birst der Wasserturm Und denke still: „Er harrt nur allzu lang.“
Den Goldemar, den stolzen Heidekönig,Ruf ich, wenn mal des Baggers Eisenhand, Ersonnen von der wilden Gier der Mä(!)nschen, Vom Galgenhügel raubt den blut'gen Sand.
Von Goldemar, dem edlen HeidekönigTräum' ich, wenn ich in seinem Land verweile. Dann reicht er stumm die blaue Blume mir Und jagt auf starkem Roß dahin in Eile.
16
Auf Dernebockholts Kamp hatte sich eine junge Lerche emporgeschwungen und ihr erstes Lied gesungen.
Wenn Bürger tippeln, eine Sauerlandfahrt, oder „Pflaumenmus“.
Wenn Bürger tippeln, eine Sauerlandfahrt, oder „Pflaumenmus“.
Herbst 1921
Für die Herbstferien 1921 planten wir eine Sauerlandfahrt. Dieses „Planen“ besagt berechnen von Entfernungen, „reizender Ausblick“, höchster Erhebungen „und sehenswerter Naturdenkmäler; und was viele Spießer nicht zu stande bringen, das vollbrachten wir: unsere Rechnung stimmte sogar manchmal. Wesentlich ist auch, daß man vorher Erkundigungen einzieht über empfehlenswerte Hotels – Verzeihung! Jugendherbergen! Und dort Schlafstätten reservieren läßt. Zu dem Zwecke setzten wir „per“ Postkarte mit Rückantwort fein säuberlich für jeden Tag, je einen „Herbergsvater“ in Kenntnis, in der Nacht vom soundsovielten bis soundsovielten zwei reisende Jünglinge beherbergen zu dürfen, und erhielten prompt die Versicherung von der „Ehre“ - oder mit Variation – von dem „Vergnügen“ das ihnen unsere Ankunft verursache. Jetzt stand nichts mehr im Wege; die Reise konnte beginnen!
Parole war: „Dechenhöhle“ - Hamm – Unna – Fröndenberg. Den kurzen Aufenthalt benutzten wir, um das ma-
17
lerisch mit Bettenfabriken gespickte Land zu befeldstechern. Gegen Mittag erreichten wir die – nein das Hotel zur Dechenhöhle. Dort saß schon ein Stoß „Touristen“ hinterm Bierpott, Leute, die sich äußerlich von uns darin unterschieden, daß sie in Jimmikluft, wir aber im „Fahrtenkittel“ auf den „Führer“ warteten. - Zunächst tritt man in den Raum, der den poetischen Namen „Vorhalle“ trägt. Dort wartet man einen Augenblick im Dunkeln auf das Andrehen des elektrischen Lichtes, um sich bewußt zu werden, daß man sich unter der Erde befindet. Dann erfährt man allerlei Interessantes über die Entstehung der Höhle. (Durchsickern kalkhaltigen Wassers) über ihre Entdeckung 1868 (beim Bahnbau), und läßt sich dann in das Reich der unterirdischen Schönheit einführen. - (Wenn ich mich vorher über meine Umgebung lustig gemacht hatte, so tat es mir jetzt, beim Anblick dieser Wundergebilde leid, daß ich nicht allein war, allein in diesem Märchenpalast). Wessen Phantasie umgaukelten nicht die Elfengeister eines Wunderreiches, wenn er über die Schwelle ihres Königspalastes tritt? - Ich war nicht mehr bei der Herde: Abseits stand ich im Anblick eines Wassers versunken, das glasklar in einem Kristallbecken die seidenen Spitzengewebe der Decke widerspiegelte, bis mich dröhnendes Gelächter, das in ungezählten Malen
18
von den Wänden widerhallte, in die Wirklichkeit zurückrief. - Nachdem wir dem Leithammel in fluchtartigem Zuge durch alle Räume gefolgt waren, wurden wir bald ans Tageslicht befördert. Um uns aber durch den kleinen Gegensatz zwischen einer Eisenbahnschranke und einem kristallisierten Palmstumpf nicht zu blenden, hatte die hohe Höhlenleitung in anerkennenswerter Weise einen Ansichtskartenstand vor uns aufmontieren lassen. Dort konnte man die ganze Höhle (noch einmal) in entzückender Aufmachung d. h. mit himmelblauen, seegrünen und rosaroten Hintergründen noch einmal bewundern. Wir suchten nach Schwarzweißbildern. Doch uns blieb nur die Wahl unter Kitsch.
Dann begann die Tippelei. Über den Wixberg durchs Lennetal nach Altena. Fein war es, daß wir endlich allein waren; übel nur, daß wir uns für den Abend an die Herberge in Altena gebunden hatten. Keine Zeit hatten wir auf das Locken des Taubers im dunklen Tann zu achten, keine Zeit, im einladenden Schatten des weiten Buchengrundes zu rasten, wir hörten nur das Rauschen der Lenne, die unaufhaltsam, rastlos ihr schmutzig-gelbes Wasser dahintrieb; so mußten auch wir eilen, um rechtzeitig die Herberge zu erreichen.
Altena. -Ein trutziger Bergfried hebt sich auf dem Wolfseck gespenstig vom Abendhimmel ab. Endlos= weite
19
Waldungen umgeben die Bergfeste, in denen ehemals das Hifthorn „Adolfs I. vom Berge“ hallte, der mit der tollen Meute den Hirsch verfolgte. - Heute tollen sich im Burghof frohe Buben und Mädchen, die zur Fidel und Klampfe muntere Reigen tanzen. Der letzte Sonnstrahl verglitzert im Tal und versilbert ein letztes Mal die gelben Wellen der Lenne. Dann leuchtet es im Westen schwach auf, und dann: ganz allmählich färbt sich der westliche Abendhimmel scharlachrot und spiegelt sich wieder in ungezählten blanken Fensterreihen schmucker Häuser, die sich zu beiden Seiten an den Fuß des Berges schmiegen.
Morgen ist's Sonntag „Haben heute eine feine Tour von Altena über den „Hohen Molmert nach Plettenberg gemacht“, schrieb meine brüderliche Liebe am Sonntag nach Hause. Das war alles, und doch hätte er sich das „feine“ auch noch schenken können; denn für das „Feine“ hatten wir auch heute keine Zeit. Deshalb konnten wir auch nicht das nachempfinden, was: „Herr Knebusch“ von dem idillischen (!) Schäferplätzchen romantisiert. -
Auf dem Bodenraum einer himmelhohen Volksschule schien uns der Strohsack ein köstliches Daunenbett, und hundemüde stimmten wir bald ein in den hundertstimmigen Chorus, der das Hohelied von der Müdigkeit sang; - schnarchte. Der Morgen sah uns wieder in Begleitung von Klexen mit denen sehr eifrige Mitglieder
20
des „Sauerländischen Gebirgsvereins“ manchen kraftstotzenden Buchenstamm und manche schmucke Birke verunziert hatten.“ - Nach etlichem Tippeln sahen wir unseren Weg samt Klexen ein ....... (Lamda) bilden, das sich aber mit Herrn Knebuschs Hilfe alsbald zu einem ........ (Phi) oder besser Wieh entpuppte. Leider waren die Buchstaben (wie schon leise angedeutet) etwas schief (!) etwas schief geraten, sodaß die Arme ungleich lang waren. Da aber der längere auch der schönere war, wählten wir – den kürzeren, denn Ruinen konnte man ja „immer noch“ sehen und überdies waren wir doch nur deswegen auf Fahrt, um am Abend die Jugendherberge pünktlich zu erreichen. Als wir etwa die Mitte der Krümmung erreicht hatten, sahen wir unseren Zwillingsweg im Morgennebel schimmern und auf die Trümmer der ehemaligen Grenzfeste der „Grafen von der Mark“. Nach mehrstündigem Tippeln gerieten wir in das Reich der Kalkindustrie: nach Attendorn. Seinen Kalkwerken verdankt das Nest auch seine Tropfsteinhöhle. Erst im Jahre 1906 wurde sie entdeckt. Ihre verschiedenen Abteilungen sind mit mehr oder minder phantastischen Namen bezeichnet, deren Aufzählung ich in großmütiger Weise Herrn Knebusch überlasse. - Eine Ansicht, die leider nicht nur die Attahöhle darstellt, sondern auch die „Eindrücke“ eines Tagemarsches in der Hosentasche wiedergibt, habe ich oben eingeklebt.
21
Auf steilem Fels erhebt sich das Bilsteiner Schloß, das in wechselvollem Schicksal zeitweise den Grafen von der Mark und den Erzbischöfen von Köln gehörte. - Buchen und wieder Buchen begleiteten uns nach Altenhundem. Dort nisteten wir uns bei Stigg ein, der uns glänzend „verpflegte“ und nach einem munteren „Plümpsen“ in der Lenne für uns Quartier machte in der Jugendherberge des S.G.V. Des Frührots erste Strahlen ließen die Schieferdächer der schmucken „Grafschaft“ vor uns erglitzern. „Maximis itineribus“ ging's daran vorbei. -
Ein feines Bild sehe ich noch vor meiner Seele: Ringsum begrenzen bewaldete Berge das Nesselbachtal. Ein schmaler Pfad führt von unserer Kochstelle, hoch oben am Tannenforst zum Dorf hinab in ungezählten kleinen Windungen. In der Ferne glitzert der Sand in der Sonne. Kaum kann man noch unterscheiden, was das Bächlein, was das Weglein. Im Hintergrunde hebt sich das Dorf mit seinen schmucken weißen Häuslein von dunklen Tannen freundlich ab, und behebt den schwermütigen Eindruck uralter Schloßruinen auf dem Rappelstein. - Station: Kahler Asten – Aussichtsturm – Nebel: Aus nächster Nähe schaut der Langenberg spöttisch auf uns herab, denn er überragt uns um 2 Meter. Auf halber Höhe des Astenberges hat man neben einer ausgetrockneten Rinne einen Stein aufgerichtet mit der Inschrift: „Lennequelle“, weil unser alter Begleiter hier zeitweise „entspringen“ soll. Bei Mutter Mörchen bekommen wir mal wieder Federbetten, und der Astenberger Wind mühte sich vergeblich ab, uns ein Schlaflied zu spielen.
Die Morgensonne begrüßte uns am „Ruhrkopp“; doch schon bald hinter Winterberg ging uns der Sonne letzte Strahl unter in dichtem, grauem Nebel .....
Meine erste Burgfahrt
Meine erste Burgfahrt
(Herbst 1922)
In allen Städten Deutschlands, Deutsch Österreichs und Hollands strömen frohe Scharen dem Bahnhof zu. Sonnig glänzen die Augen, hell schimmern Kleider und Kittel, geht’s doch zur Burg, zur Sonnenburg! Bald hocken auch wir „Münsteraner“ in den Abteilen eingepökelt, auf unseren Affen und in munterem Wechselspiel jubilieren und singen Mädchen und Jungens zur Fiedel und Klampfe, spricht ein Volksmärchen zu uns oder ein Heimatdichter! Schnell verfliegt so der Nachmittag und der Abend eint uns zu frohem Reigentanz auf Burg Altena. Wir tanzen und springen, bis die Sonne, müde von der Bergkletterei, zur Ruhe gegangen im tiefen Buchengrunde. Der ganze folgende Tag scheint uns eine Stunde in sonniger Freude. – Es ist Abend geworden! – Leise senkt sich die Dämmerung herab über das liebliche Maintal. Da – plötzlich recken sich hundert Köpfe aus den Abteilen. „Heil Dir“ wollen wir alle rufen, „Heil Dir Du unsere Mutter, du Burg.“ Doch der Laut erstirbt in der Kehle, denn ein Wunder zu schauen: Ein lieblicher Glanz lagert sich wie die Goldgloriole einer Heiligen um unsere Burg, und nur leise zittert der Laut von Mund zu Munde: „die Burg des hl. Grales.“ Schlacks, Sippel und die anderen, die schon vor acht Tagen zur Werktagung gefahren waren, empfingen uns am Bahnhof mit einem kräftigen „Heil!“ Dann stürmten wir zur Burg hinaus durch den schweigenden Abend, dem Lichtwun
23
der entgegen. Prof. Hoffmann begrüßte uns oben mit herzlichem Händedruck und leuchtenden Augen. Bald ergänzenten wir die langen schlafenden Reihen unserer Bundesbrüder, die aus allen Gauen herbeigeströmt waren, zum froh-ernsten Werken des vierten deutschen Quickborntages. Ich stehe noch einige Minuten am Dachfenster und schaue in den stillen Abend hinaus. Da verglimmt der helle Schein, der eben noch um den Burgfried erstrahlte und verglitzert in den klaren Fluten des Main. – Morgen beginnt die Tagung! Schon in des Herrgotts Frühe ist reges Leben im Burghof: ein malerisches Gewimmel von farbenfrohen Gewändern. Mit großen Augen schaut der Burgfried auf den Burghof hinab, der, gestern noch mit holperigen Kieselsteinen gepflastert, heute in eine blumige Wiese umgewandelt zu sein scheint. Aus den vorherrschenden grünen Kitteln heben sich nur alle erdenklichen Frühlingsfarben freundlich ab. Jeder hat sich so festlich gekleidet, wie er nur kann, denn gleich beginnt der feierliche Gottesdienst, der Beginn der Tagung, des „Neuen Anfangs!“ ......
Zu dritt tippelten wir in den Spessart: Bänd Helming, Leo Wieth und ich. Einen Tag lebten wir im tiefen dämmerigen Buchenforst und noch einen. Kein
24
störender Laut zerriß das zarte Gewebe, in dem des Waldes neckische Elfenkinder uns gefangen hielten. Nur hin und wieder erklang das Lachen des Spechtes und der heisere Ruf des Markolfs. Ein Rudel von Hirschen tauchte vor uns auf und äugte neugierig von einer Anhöhe auf uns herab. Schlammige Gruben zeigten Spuren von Schwarzwildherden. Von bewaldeten Bergen beschattet träumt in malerischer Lage Schloß Mespelbrunn von frohen Jagdzügen und Belagerungen und mustert selbstgefällig seine Zinnen und Türme im klaren Spiegel des Teiches. Eine Nacht noch blieben wir im Spessart, eine Nacht noch auf Rothenfels, und dann zogen wir wieder hinaus ins Ödland, aber mit einem Herzen voll Licht und Sonne. Im Morgennebel tippelten wir mainaufwärts. Ein Floß trieb uns entgegen, und wir konnten der Versuchung nicht widerstehen: Unsere Kleider flogen im weiten Bogen ins blumige Gras und in fröhlicher Jagd schwammen wir dem Floß entgegen. Ein Stück fuhren wir mit den Main hinunter. Dann liefen wir durch das taufrische, kniehohe Gras zurück. Mainaufwärts ging’s über Lohr nach R. Dort breitete des Pastors Haushälterin Decken und Kissen auf dem „...........“ für uns aus, wobei sie ihre Tonwarensammlung dringend unserer Nachsicht empfahl. Die sinkende Sonne des nächsten Tages (18.VII.) sah uns in M. im Heuschober verschwinden. Am 19. pfiff uns der scharfe Rhönwind um die Nase und fegte
25
dahin über die Heide; nur hin und wieder bot ihm ein kleiner Waldstreifen geringen Widerstand. Dazu konnten wir stellenweise kaum den Weg im Grase unterscheiden: Wir hatten uns bald verlaufen. Da sieht einer im Talkessel, tief unter uns, eine Herde weiden. Ich werfe meinen Affen zur Erde (weil ich die längsten Beine habe) und nach einer unbeabsichtigen Unterhaltung mit einem Köter (wir bedienten uns der Zeichensprache) wurde die Sache geklärt: Er zeigte seine Zähne und ich meinen Dolch: Der Schäfer brachte uns wieder auf den rechten Weg. Im Franziskanerkloster auf dem Kreuzberg „verzehrten“ wir in einem „gemütlichen Touristenzimmer“ (gegen Bezahlung natürlich!) einen Haferschleim. Der Motor der Brauerei lieferte uns Tafelmusik: Wir verzogen uns bald auf unsere Mäuselager, Kästen mit zwei dicken Baumwolldecken. Am Morgen erkletterten wir das Riesenkreuz auf „der fünften Erhebung der bayrischen Rhön.“ Ein scharfer Gegensatz zu unserer Aufnahme bei den „gemütlichen Lagern“ auf dem Kreuzberg, war die im Kloster Frauenburg bei Fulda. Stundenlang weilten wir in der reichen Klosterbibliothek und alten Gemäldesammlung, mit heiliger Scheu in der Mönche Totengruft: In eine Wand waren etwa fünfzig Nischen eingebaut. Einfache eiserne Türen vertraten kostspielige Gedenktafeln. Bei Platzmangel weicht das älteste Gebein dem jüngsten Toten. In Fulda trafen wir überhaupt nur „feine Leute“. Dr Westenberger und sein altes Mütterchen verpflegten uns so gut, daß wir
26
uns fest vornahmen, kohldampfend uns nie wieder bei Bundesfreunden blicken zu lassen. „Sonstige Sehenswürdigkeiten nahmen wir natürlich auch mit“: den Dom und das Grab des hl. Bonifatius. – Ein sonderbares Gefühl kroch uns beim Anblick der Reliquien des hl. Innozenz über den Rücken: drei ganze Tage lang haben wir nicht mehr gesungen: „O heiliger St. Innozanz, ein jedes junge Mädchen ist eine dumme Gans. – Verstaubt und tippelmüde landen wir in S. Fünfmal fragen wir nach Bleibe, bis es auf einem behäbigen Bauernhofe glückt: Mitten im Dorf steht in der Runde schmucker Fachwerkhäuser die Dorflinde. – Die Fiedel singt Schmalz und wir auch und dann träumen wir an den Stamm gelehnt von Fahrtenglück und Fahrtenleid. „Dorfromantik“ sagt der Spießbürger. Und da geht der Vollmond auf: Er hat das Gesicht einer Bäckersfrau angenommen; die entlohnt uns für unseren Singsang mit gewaltigen Kuchenfladen. Ein kräftiges Abendessen bei unseren Quartiersleuten füllt die Leere aus, die der Kuchen noch gelassen, und dann pennen wir anstatt im Heuschober in „Laken“. Die „Decken“ brauchen wir nicht. Am Morgen scheiden wir mit einem frohen Liede, bepackt mit Bauernstuten, Schinken und Frühäpfeln.
27
Auf steilem Fels erhebt sich das Bilsteiner Schoß, das in wechselvollem Schicksal zeitweise den Grafen von der Mark und den Erzbischöfen von Köln gehörte. – Buchen und wieder Buchen begleiteten uns nach Altenhundem. Dort mieteten wir uns bei Stipp ein, der uns glänzend „verpflegte“ und nach einem munteren „Plümpen“ in der Lenne für uns Quartier machte in der Jugendherberge des S.G.V. Des Frührots erste Strahlen ließen (!) die Schieferdächer der schmucken „Grafschaft“ vor uns erglitzern. „Maximis itineribus“ ging‘s daran vorbei. – Ein feines Bild sah ich noch vor meiner Seele: Ringsum begrenzen bewaldete Berge das Nesselbachtal. Ein schmaler Pfad führt von unserer Bachstelle, hoch oben am Sonnenforst zum Dorf hinab in ungezählten, kleinen Windungen. In der Ferne glitzert der Sand in der Sonne. Kaum kann man noch unterscheiden, was das Bächlein, was das Weglein. Im Hintergrunde hebt sich das Dorf mit seinen schmucken weißen Häuslein von dunklen Tannen freundlich ab, und behebt den schwermütigen Eindruck uralter Schloßruinen auf dem Rappelstein. – Station: Kahler Asten – Aussichtsturm – Nebel: Aus nächster Nähe schaut der Langenberg spöttisch auf uns herab, denn er überragt uns um zwei Meter. Auf halber Höhe des Astenberges hat man neben einer ausgetrockneten Rinne einen Stein aufgerichtet mit der Inschrift „Lennequelle“, weil unser alter Begleiter hier zeitweise „entspringen“ soll. Bei Mutter Mörchen bekamen wir mal wieder Federbetten, und der Astenberger Wind mühte sich vergeblich ab, uns ein Schlaflied zu spielen. Die Morgensonne begrüßte uns am „Ruhrkopp“, doch schon bald hinter Winterberg ging uns der Sonne letzter Strahl unter in dichten grauen Nebel .....
Eisenach – Regen – Regen – Regen.Vollständig durchweicht ist der Weg von unserer Bleibe zur Wartburg. Unsere „Treter“ und Strümpfe baumeln bald am Affen. Wie wir oben anlangen, werden die Knochen in der nassen Heide abgewaschen und wir sind wieder „salonfähig“, dürfen die Orte betreten wo „Walter von der Vogelweide“ sang und „Wolfram von Eschenbach“ wo die hl. Elisabeth den Armen spendete und Luther als „Junker Jörg“ die Bibel übersetzte. Von der Zinne des Eckturms fiel unser Blick in den dichten Tann des Talgrundes, wo einst das „Halali“ der Ritter erscholl, wo „Hermann v. Thüringen hinauszog ins hl. Land. – Durch Felsenkluft und dichten Wald ging’s wieder zu Tale. Von Eisenach wollten wir nach Treffurt zum Normannstein. – Aber, „das verfluchte Geld“ sagt Schiller! So maschierten wir dann gleich auf Kassel los. – Der ehemalige Marstall auf Wilhelmshöhe war uns eine feine Bleibe. In das spießbürgerliche Herbergsbuch schrieb Kl. M: „Ihr seid die
28
faulen Bläser einer faulen Zeit.“ ...
Eine feine Erinnerung bleibt mir an Kassel: der Sonnenball ist die Kaskaden hinabgerollt. Stacheldrahtgekrönte Tore versperren dem „Touristen“ jeden Zugang zum Herkules. Da brechen zwei hagere Gesellen aus dem schwarzen Tann hervor. Und mit nackten Füßen (um den Wächter nicht beim Abendbrot zu stören), klettern Assag und ich in dem feinen Laubwerk herum (Geld, um den Führer bezahlen zu können, hatten wir nicht mehr). Selbst dem Neptun und dem Triton, die in ihren Felshöhlen sonst nie Besuch bekommen, machten wir nach Überwindung von mehreren Eisengittern unsere Aufwartung. – Zwar ist der Boden dort „män dünne“ und zornig flackert das Auge Neptuns im kreisrunden Spiegel, aber: „wir haben ja heute doch noch nicht gebadet, und einmal am Tage zu schwimmen „soll sehr gesund sein!“ Dann hüpfen wir an der Türe des Wärters vorbei und klettern zum Herkules empor. Müde vom
29
Kampfe steht er da auf seine Keule gestützt. Schrecklich anzusehen ist seine muskulöse Gestalt. – Wir sind oben angelangt. Von hoher Warte schauen wir in die Nacht hinaus. Dem Könige von Samos konnte „auf seines Daches Zinnen“ kein erhabeneres Gefühl überkommen als uns beiden armen Teufeln: Zu unseren Füßen liegt das funkelnde Lichtermeer der Stadt; fern im Hintergrunde starren dunkle Wälder: Unterworfenes Land! In beinahe dreiwöchigem Kampfe haben wir es mit Füßen getreten. Nahe vor uns aber, auf der untersten Stufe unseres Thrones kniet auf grünem schwellendem Kissen Schloß Wilhelmshöhe mit seinen Bewohnern. Scheidemann? ... Träume, Schäume!! Bald pfiff der Wind nach der Melodie: „Hunger quälte Durst tat weh, „und Frost kam uns in die Zeh! – So mußten wir wieder zu Tale steigen, „in den Piärdestall“ harin, und wir abgebauten Samoskönige aßen angebrannten Reisbrei als wäre es Pastete. –
Die Weser hinauf!
Die Weser hinauf!
(Pfingsten 1923)
30
Füh Fühh! Fühühh! – der Wind pfeift über die Heide. Große schwarze Regenwolken treibt er vor sich her. Der ganze Himmel, der heute morgen noch im rosigen Sonnenlicht glänzte, hüllt sich in ein aschgraues Regenkleid. – Auch wir verkriechen uns unter unsern schönen grauen Zeltbahnen, da wir zum „Dümmersee“ tippeln. Füh! Fühh! Fühühh! toktokterok: das rechte Wetter zu einer Segelfahrt! Bei jeder Wendung legt sich unser Boot bis zum Bordrand auf die Seite. Und immer lauter heult der Sturm und immer heftiger schlägt der Regen gegen das Segel und immer mehr Wasser sammelt sich auf unseren Hüllen, in Bächen, Tümpeln und Teichen. Wir treiben so lange auf dem Wasser umher, bis der Sturm sich ausgetobt und des Himmels Schleusen sich geschlossen. Dann tippeln wir bis zum Mittag und halten in einem Eichenwalde, in dem 100 Krähenpaare sich ihre Nester gebaut, und in dem man ob des großen Geschreies einer blühenden Nachkommenschaft sein eigenes Wort nicht versteht über „Nabo“ Gerichtssitzung ab.
-Der Abend eint uns um ein loderndes Feuer; das malt in des Föhrenwaldes starres Schwarz gespenstische Bilder; die Fiedel singt schluchzende Weisen und die Laute
31
klagt in die Nacht hinaus - - Erst spät, da auch der letzte Funke verglommen, hüpfen wir dunklen Schatten in den tiefen Föhrengrund; dort stehen zwei Zelte: das Lager ist sammetweich; es duftet nach Heidekraut und Brahm. – Den Donnerstag haben wir ein Erlebnis. Einer verliert beim Baden den Halt, und verschwindet glucksend in den Fluten. (Wäre Otto nicht gleich zur Stelle gewesen ...... Ich mag den Gedanken nicht zu Ende denken.) Die Rettung war die denkbar schaurigste: Völlig bewußtlos war der Verunglückte, da wir ihn auf dem weichen Rasen betteten. – Erst nach langwierigen Wiederbelebungsversuchen konnte er der menschlichen Gesellschaft als vollwertig zurückgegeben werden: 10 Minuten lang bearbeiteten wir den Pottdeckel mit Steinen, die Löcher zu beseitigen, die wir mit dem Ger hineingestoßen hatten.
An der „Porta Westfalika“ hielten sich sehr viele das Weserlied singende „Jünglinge und Jungfrauen“ auf , was mit der Verbreitung der Drahtkommode zu
32
sammenhängt: „Hier hab' ich so manhanches liehibe Mal mit meiheiner Laura gesessen.“
Massig sind Mindens Kirchen, voll Leben die Gassenbilder. Gemessen schreiten Landleute in den leuchtenden Farben der „Bückeburger Tracht“ einher: der Häuser Gesichter sind alt und zerfurcht: Sie sprechen von wechselvollen Geschicken.
In Rinteln fanden wir in einem mittelalterlichen Kleineleutehäuslein eine feine Bleibe. Den Abend ging's mit Singsang durchs Städtchen, den ein Nachtwächter vergebens zu beschwichtigen sich bemühte. Einen halben Vormittag lagen wir zeichnend und schreibend und wiederkäuend in den Kreuzgängen und Rosengärten des Klosters Fischbeck, bis uns eine Frau an das Krankenbett Ihres „musikliebenden“ Mannes rief. Wir sangen ihm manches frische Lied.
Hameln!
In einem weiten Talgrunde des Weserberglandes, beschützt durch Hamel und Weser träumt es eine alte Märe: In kurzen Worten ist die Sage, deren tieferer Sinn mehrdeutig, am „Rattenfängerhaus“ zu lesen: „
Anno 1284
Am Dage Johannis und Pauli war der 26. Junii
Dorch einen Piper mit allerley
Farwe bekledet
Gewesen 6XXX Kinder verledet
Binnen Hameln geboren
To Calvaria bei den Koppen verloren.“33
Zierlich sind die Häuserfronten der Gassen, reich, ohne Überladung die Pracht manigfachen Schnitzwerkes an den Patrizierhäusern.-Der Abend bricht herein. Tiefe Schatten lagern auf der Weser, da Assag und ich hinaufziehen zum „Hohen Klüt“. Nach einer ziemlich mühsamen Kletterei über allerlei Trümmerwerk umfängt uns märchenhafte Lichtung: Mit glänzenden Augen schaut der Mond hinter einer Wolke hervor; wie verzaubert stehen die silbernen Stämme zur Geisterstunde. Da hebt ein Fidelstrich ganz zart an zu singen und singt und singt immer voller und klarer, immer klarer und voller, und die Berggeister und Elfenkinder tanzen den Reihen über silbernen Baumwurzeln. Über jungjunge silberne Grasspitzen und Sträucher und Baumkronen, tanzen, tanzen, bis hinauf zu den Sternen. -
Schweigend sind wir heimwärts
34
[S. 34. Fotos eingeklebt]
35
geschritten, zur Jugendherberge in der „Garnisonkirche“. Noch bevor wir sie erreichten, setzte der Regen ein, und ließ uns vor Kälte erzittern. - Man hatte die Kirchentüre verschlossen. Da mußte Gewalt vor Recht ergehen: Mit einem Brecheisen (einer Gerspitze) hoben wir die Tür (einer zumeist unbenutzten Nebentür) aus den Angeln und standen – vor mir nur Gipswand. Da wir diese doch nicht gut umwerfen konnten, (es hätte zu viel Lärm gemacht) bohrten wir ein Loch hinein, steckten die Lampe da rein, von deren hellem Schein die Andern erwachten, losmachten und furchtbar lachten. - Am folgenden Morgen sind wir nach Höxter gefahren, zum „Konvent zu Dreizehnlinden“ dort haben wir für unseren letzten Groschen das Kloster gesehen und dann Kohldampf geschoben, bis uns eine runde Bäckersfrau sattfütterte.
Bunte Bilder von einer Ostseefahrt
Bunte Bilder von einer Ostseefahrt
Herbst 1923
Hell jauchzt die Fidel in den sonnigen Herbstmorgen hinaus und die Laute brummt behaglich. „Heiho“! Die Rosen blühen!“ So singt das Herz, so klingt der Mund; selbst der altehrwürdige Hordenpott wird von dem allgemeinen Jubel so hingerissen, dass er mit der Bratpfanne einen munteren Reigen tanzt. (Es kann aber auch ein „Jimmi“ gewesen sein, alldieweil er eben nicht auf der“Wieschke“ sondern auf einem „Affen“ getanzt wurde.)
„Trumm! trumm, terum – Landsknecht ziehe im Land herum.“ In dichte Nebel getaucht träumen ferne Ziele.
Bremen: Auf freiem Platz reckt sich eine trutzige Gestalt hinaus über der Großstadt niedrig Getriebe: Roland; ihm zur Seite, das Rathaus ein Meisterwerk alter deutscher Baukunst. Einer Wendeltreppe reiches Schnitzwerk führt im Innern zur hohen Halle empor, und spiegelt sich wieder in der Balkendecke Pracht.
Hamburg: St. Pauli Landungsbrücken. Soweit das Auge reicht ein wogender Mastenwald großer und kleiner Segler, qualmende Schlote von Ozean- und Schleppdampfern. Kleiner Segel Weiß wetteifert mit dem ungezählter Möwen, die in dichten Scharen das
37
Fischerboot bis ans Quai verfolgen. Wie ein trutzig Wahrzeichen ragt aus diesem Getriebe der Riesenarm eines Lastkrans hervor, der schnaubend, ratternd und keuchend seine 150 Tonnen wendet.
Lübeck: aus dem belebtesten Stadtteil wachsen die Türme von „St. Marien“ ins Blau des Himmels hinein und zeugen vor Gott von der Menschen Opfersinn und Können. In einer Höhe von über 38 Metern beschattet das Gewölbe den marmornen Hochaltar und gibt ihm in Verbindung mit prunkvollen Epitaphien und reichen Gemälden die Weihe übernatürlicher Erhabenheit. Ein zierlicher Renaissanceaufgang führt aus dem Getriebe der Straße in den Frieden der - Kriegsstube des Rathauses. Reiches, überreiches Schnitzwerk prangt an Wänden und Türen, an Kamin und Decke. Das Ganze aber steigert die Pracht ungezählter Armstühle, deren gemessene Form und stilvolle Lederbezüge ernste Feierlichkeit atmen: Alles zeugt von der Vermögenheit der ehemaligen freien Hansestadt.
38
Lübeck: Breitspurige Landsknechtsgestalten verklungener Zeit
Halten Türme und Tore die Wacht
Doch die NachtWeckt altes, vergessenes Leid.
39
[Drei Zeichnungen von Karl Bloßfeld]
40
Vier Bilder von Karl Bloßfeld !!!!
41
[Ein Bild von Lübeck]
Rostock:
Die meisten hervorragenden Bauwerke gehören dem Mittelalter an. (Aber auch Monumentalbauten der Neuzeit sind ziemlich zahlreich.)
In der Mitte der Stadt erhebt sich die Marienkirche, eine kreisförmige Basilika von riesigen Ausmaßen. Das mittelalterliche, mit 7 Türmen gezierte Rathaus ist leider durch einen nüchternen Renaissancevorbau verdeckt, doch ist die alte gotische Fassade unverkennbar. Auch die alten Stadtbefestigungen sind zum größten Teil geschleift; nur hier und dort steht in einem schmutzigen Hinterhof ein alter Mauerrest und Mauerturm. Bedeutende Überreste finden sich nur am Petri- und Kröplinertor.
Wismar:
Der alten Seestadt Straßen zieren prächtige alte Giebelhäuser, die an den münsterischen „Prinzipalmarkt“ erinnern. In drei mächtigen Stadtkirchen hat sich der Bürger im Mittelalter bleibende Denkmäler gesetzt, die mit ihren wuchtigen, massigen Formen seine Eigenart kennzeichnen. -
Am Morgen füllten wir unsere ausgehungerten Mägen mit einer „Waschschüssel“ voll Wassergries aus, den noch ein „Louis Häusser“-Apostel seinen Freunden versorgte.
42
[weitere Fotos eingeklebt]
43
[Zwei Bilder von Wismar]
Von einem Kranz von Märchenseen umgeben träumt „Schwerin“ von Hoffesten und Fürstenkronen, die unwiederbringlich versanken in der Tiefe des „großen Schweriner Sees. Doch stolz ragen daraus noch immer hervor die gefälligen Formen der Frührenaissance des Schlosses. Typisch für Schwerin (im Gegensatz zu Wismar und Rostock) ist das Fehlen mittelalterlicher Bürgerhäuser. Als einziges Wahrzeichen aus dieser Zeit ragt die Domkirche empor. - -
Stralsund:
Strelersund. Schwedenherrschaft, Wallenstein, Schill und alles und so. Ein Ring von Teichen macht Stralsund noch heute zu einer natürlichen Festung. - Fein sind der Gassenbilder gesehen vom Turm von St. Marien unvergesslich die Winkel beim Johannis und Hl. Geist-Kloster. - Rathaus – Nikolaikirche.
44
[Insgesamt drei Bilder]
Wir lebten auf dem Lande. Die Güter auf denen wir pennten verpflegten uns ausgezeichnet. (Wo wir bestimmt annehmen konnten, daß man auf Geld ......nicht sah, fragten wir auch mal „nach unserer Schuldigkeit“). Mehrere Gästebücher beehrten wir auch mit unserem Namenszug und einem kurzen Vers. [?]
45[Vier Bilder Stralsund]
46
[Drei Bilder Stralsund]
47
Auf „Radegast“ ist der Herr Major von Ritzewitz Gutsverwalter (er war ehemals Adjudant beim Großherzog.) Darum spricht er so: „Äh, Jungens, äh, wieviel km. seid ihr denn heut marschiert?“ „65 km Herr Major!“ „Äh na das geht ja schon! äh, dann eßt mal tüchtig!“ Fünf Minuten lang hört man nur unsere Kaumuskeln. (Das war nur preußischer Gehorsam!) Seine Exzellenz klopft seiner Bulldogge immerzu den Scheitel. Dann wendet sie sich (d. h. seine Exzellenz und nicht seine Bulldogge) uns wieder zu: „Äh! Wann wollt ihr denn morjens aufstehen?“ „5 Uhr, Herr Major.“ „Äh! Das lob ich mir aber.“ Am folgenden Morgen geht der Herr Major um 6 Uhr aufs Feld und schaut zu, ob seine Arbeitsleute auch pünktlich angetreten sind, um 1⁄2 8 Uhr werden auch wir wach und schauen nach, ob „Mamsell“ auch schon Anweisung bekommen hat. - Um 1⁄2 10 Uhr wird der Herr Major zum Frühstück kommen und wahrscheinlich das schöne Lied singen: „Aber auch ihr Brüder, äh! seh' ich niemals wieder äh! -
In „Gelbensande“ lagern wir mit Zigeunern ums Lagerfeuer. Hellauf schlug die Lohe, daß des hageren Fiedlers Gesicht sich leuchtend abhob vom schwarzen Tannengrund. - Wir aßen aus einem Topf: Bratkartoffeln und Rührei. Es waren keine Christen und doch galt der Grundsatz: „Christus sprach zu seine Jünger: „Wer kein' Löffel hat ißt mit die Finger!“
48
[Bilder, u.a. Wallensteins Lager vor Stralsund! (1628)]
(Unterhandlungen mit dem Rat der Stadt 30. Juni.)
„Die Stadt muß herunter und wäre sie auch mit Ketten an den Himmel gebunden!“
49
Rügen – unser Ziel! Vom Gipfel des „Königstuhles blickten wir hinaus auf das weite Meer, das vielbesungene, heiß ersehnte. - Meeresmittagsweiten! -
Die nächsten Stunden aber sahen uns schwimmen und tauchen in den erlösenden glasklaren Fluten, sahen uns springen und tanzen auf dem weißen Uferstrand. -
Abend ist es geworden. Die blutrote Sonne ertrank in der Unendlichkeit. Vom hohen Kreidefelsen der „Stubbenkammer“ klingt ein sehnendes Singen über das weite Meer hinaus...
„Ich gehe nicht auf Fahrt.“
„Ich gehe nicht auf Fahrt.“
IX.24.
Einsam sitze ich auf dem Balkon und blicke in den schweigenden Herbstabend hinaus. Zum Lesen ist es zu dunkel, und überdies in der engen Stube zu sitzen, dazu ist der Abend zu schön und das Herz mir zu voll. So kann ich nur das Eine: Träumen ...
Sonst sang ich um diese Zeit alljährlich: “Nun ist die Zeit gekommen, die ich verwandern muß.“ Und wenn ich mir auch für diese Ferien selbst den Zwang auferlegt habe zu arbeiten, so sollen doch für heut Abend, „Sinüsse und Quadranten und Logarithmen“ mich in Ruhe lassen. - Meine früheren Fahrtgenossen will ich aufsuchen. Assag und Rudi; sind sie auf Bleibensuche, fahren sie früh nacht in das Blau des Königssees hinaus? Wo mag der Gerd jetzt wohl stecken? - Im Spessart etwa? Und der „Italienfahrer“ Nabo! - Und da lebe ich all das Glück und Weh noch einmal durch, das ich mit ihnen teilte auf mancher Fahrt. Und ich kann jetzt mit niemand darüber reden; kann nur träumen, - und träumend sing ich ein Lied:
„Drei Paar Kernledersohlen hab' ich auf den Straßen gelassen Das dunkle Grün meines Kittels es mußte verblassen.Wirr und zerzaust so flattert mein Haar im WindDoch froh und sorglos bin ich geblieben: ein Kind.
51
Ich bin gefahren durch's weite Land 'die Kreuz und Quer Auf schroffem Felsgrad stand ich und weilt' am MeerIch lag im Zigeunerlager, im dunklen Tann.Und sah bei der Arbeit den finsteren Köhlersmann.
Und wo ich immer weilte, ich sang mein Lied bei Tag + Nacht Oft hat es still geweint, doch öfter gelacht.Ich sang den Brüdern und Schwestern und mir zur Freud Doch nie erklang die Melodei so froh wie heut:
Still ist der Abend; die Nebel steigen nieder: grau in grün Auf blum'ger Maienwiese lieg ich auf den Knie'nUnd sing mein Freudenlied der Gottesmutter hehrUnd sing mein Dankeslied zu Kindleins Ehr
Sie beide klingen wieder von Lerchensang u. ReigentanzSie singen ins Tal hernieder, von Fahrtenglück und Sonnenglanz. So ist der Morgen gekommen, die Sonne geht golden auf da eil' ich ihr entgegen, den Berg hinauf.
„Scheiding“
(18. im Scheiding 1924)
Im Buchengrunde sang der Vogel sein letztes Türilei;
Denn der Herbst ist kommen, und der Sommer vorbei.
Verlassen, ein weites Hünengrab so starrt die Heide.
Schwermütig nickend träumt die Trauerweide.
Sie träumt den lieben Traum von des sonnigen Lenzes Freud
Und träumt den schweren Traum von des Winters Einsamkeit.
Auf dem Lüneburger W. [?]
(Hartung 1925)
Es zog ein froher Geselle
Hinaus ins sonnige Land.
Der lachte so silberhelle,
daß es klang von der Felsen Wand.
Er trug um den Hals eine Lauten,
Die schlug einer so wunderfein,
Daß alle Vöglein schauten
Und lauschten den Melodei'n.
Und hub er gar an zu singen
Sein Lied, von Lenz und Glück,
All' Menschen Licht empfingen
Aus seinem sonnigen Blick.
Und kam ins Dorf er gezogen,
Wo am Brunnen die Linde steht,
Da sind sie im Tanze geflogen
Und das Haar im Winde wohl weht!
52
So spielte der Spielmann im Lenze,
So sang er den Sommer lang.
Doch an des Herbstes Grenze
Die erste Saite sprang.
Und Nebel braut's über der Heide
Und auf die Blümlein fiel Schnee
Das brachte dem Spielmann groß Leide
Das bracht dem Spielmann Weh.
53
Tief unten im Buchenhaine
Wo der große Findling liegt,
Da hat der Wind ihn feine
In den tiefsten Schlaf gewiegt.
Doch kommt der Frühling gezogen
Und ist der Winder aus
Dann kommen die Vöglein geflogen
Zum Spielmannsgrab hinaus.
Und es singen schwermütig-leise
Goldammer und Nachtigall,
Drossel, Buchfink und Meise
Durchs weite grünende Tal:
„Hier liegt ein Spielmann begraben!
Nach seinem frohen Lied
All Vöglein groß' Sehnsucht haben.
Hier liegt ein Spielmann begraben.
Der „Custos ad Sanct Lambertum“
Der „Custos ad Sanct Lambertum“
vom 28.VII.25.
Wir alle kannten ihn. - Wenn er mit seinem langen schwarzen Rock und einem noch längeren „Piepenröhr“ durch die Gassen schritt, schauten wir ihm immer voller Ehrfurcht nach. Das taten aber nicht nur die „Fiefkes“ und „Sülvergrösken“ die er uns gelegentlich austeilte, wenn wir für ihn die „Biäddeklock“ zogen, sondern seine ganze Persönlichkeit flößte uns eine so hohe Achtung ein, wie sie eben nur ein neunjähriger Junge vor einem Greise haben kann, dem 60 arbeitsreiche Jahre den Rücken gebeugt und das Haar gebleicht haben. - Doch die Zeit verging; ich mußte zur Schule, mußte arbeiten und verlor Philipp Kuhlmann allmählich ganz aus dem Gedächtnis.
Da schlenderte ich einmal in den ersten Tagen der roten Revolution planlos über den Lambertikirchplatz. Die Sonne schien so drückend heiß, daß die Luft vor meinen Augen tanzte und flimmerte. Plötzlich stand das Bild meines alten Freundes vor meiner Seele, - nein, in greifbarer Nähe vor meinen Augen. Da wurde ich von einem unbestimmbaren Gefühl gepackt. Wie hatte ich ihn nur so lange vergessen können? Wie toll lief ich dahin über das glühende Pflaster ... In dem Fenster eines Kerzenlädchens (o, ich kannte es sehr gut dieses Lädchen!) hing ein weißer Zettel; darauf stand mit zitternder Hand geschrieben: „Wegen Trauerfalles geschlossen.“ Ich fragte nicht mehr; ich wußte alles.
Seither habe ich den „Custos ad St. Lambertum“ nicht wieder vergessen: Manches über ihn Wissenswerte habe ich von älteren Leuten erfragt:
In seinen jungen Jahren betrieb Küster Kuhlmann das Uhr-
55
macherhandwerk. Uhrmacher haben immer eine zarte Hand und ein feines Gefühl, besonders aber Küster Kuhlmann. Mannigfach wie das Getriebe seiner Uhren war seine Betätigung im Dienste seiner Mitbürger. Außer seinem Hauptberufe als „Custos ad St. Lambertum“ (wie er sich selbst gern nannte,) arbeitete er im Vinzenzverein gab „zum Besten der hiesigen Waisenhäuser“ Chroniken der Stadt Münster heraus und schaffte im „Altertumsverein“.
Seine Freigiebigkeit gegen jedermann war sprichwörtlich.
Mit Recht hat man ihm damals schon zu seinen Lebzeiten ein Denkmal gesetzt: In das Sandsteinkapitell einer der Säulen der „Bogenhäuser“ ist des Küsters Bild eingemeißelt. Angetan mit seinem Amtskleid, trägt er auf kräftiger Schulter das Haus seiner geistlichen Vorgesetzten: Fest packt seine Rechte das Zeichen seiner Vollmacht: das Löschhorn. - Kein König hat je mit mehr Selbstbewußtsein sein Zepter getragen! Gemessen wandert der Blick über den Kirchplatz von St. Lamberti und bleibt träumend auf der Sakristeitür ruhen. Nur am Abend, wenn der Sonne letzter Strahl auf den bunten Kirchenfenstern verglitzert, schweift er ein wenig ab zur Rechten, zum „Bullenkopp“, und dann wo „Anton Klaus“ und die Andern jetzt wohl beim Abendschoppen sitzen, eingehüllt in das duftige Blau dichter Tabakringe ...
Auf mancher Ferienfahrt durch die deutschen Gaue durfte ich mich schon erfreuen an herrlichen Domen, reichen Sammlungen und prunkvollen Schlössern. Aber weder an den lachenden Ufern des Mains noch an den reichen Küsten der Nord- und Ostsee habe ich ein Kunstwerk gefunden auf das sich das Wort „Edle Einfalt und stille Größe“ besser hätte anwenden lassen, als auf den „Custos ad St. Lambertum“ und wenn er trotzdem von den Kritikern nicht zu den Kunstdenkmälern Münsters gezählt werden wird, der münsterische „Paohlbürger“ tut es sicher!
Meine Emsfahrt
Meine Emsfahrt.
Pfingsten 1925
Endlose Murkserei dann ist das Faltboot fertig. Pfingtsferien, Tage der Freiheit, Tage der Sonne!
Im Ufergebüsch ruft die Drossel immerzu, immerzu. Sanft gleiten wir dahin, vorbei an efeuumrankten Kopfweiden und dichtem Erlenbuschwerk. Nur an Mühlen und Wehren kurze Fahrtunterbrechung.
- Man sagt „Das Wasser hat keine Balken“ das ist gekohlt; die untere Werse hat daran nur allzuviel. Wasser leider weniger: Wir müssen waten, nur die Affen dürfen weiterfahren...
Der erste Abend. Das Boot ruht seit einer halben Stunde. Wir haben es sanft zugedeckt mit Laub und Reisig. Auf einer blumigen Waldwiese genießen wir den roten Abendhimmel und drei-Spiegeleier. Vom Walde her klingt der Ruf der Nachtigall ... Horch wie der Tauber ruft. Der Tag erwacht. Weiße Nebelschleier hängen an den Büschen und das Gras ist klatschnaß: Es badet der junge Emsmorgen. Bei Greven kommt ein malerisches Wehr: das „Schöne Fliet“. Eine .........????? lohnt sich. Dann fahren wir in den jungen Tag hinein... „Und die Sonne versendet glühenden Brand“, sodaß die Froschjungens, die den ganzen Morgen so ausgelassen waren, stiller werden.
Am Spätnachmittag gleiten die Türme von Rheine an uns vorbei; und bei einem schrägen Stufenwehr müssen wir das Boot weit umtragen.
57
Vor Bentlage spüren wir ein einsames Heidehaus auf: Wir bellen in den stillen Abend hinaus und alsbald kommt aus einem Gebüsch die Antwort (Überschrift: Der Hund ein Freund der Wandervögel) – Der Kotten ist ausgezeichnet. Scharf umrissen hebt sich das schwarze Gebälk vom weißgetünchten Fachwerk ab. Vom hohen spitzen Giebel nicken ernst zwei Pferdeköpfe. - Da wir noch einmal zum Boot zurückkehren, lagern tiefe schwarze Schatten auf dem Wasser: der Tag ist totgegangen. Ganz still ruht er in einem fernen Talgrunde. Die Vögel im Walde schweigen vor Trauer; nur hin und wieder klingt da und dort ein verhaltenes Schluchzen – ein Seufzen... Plötzlich in die tiefe Stille hinein ein silbernes Singen: Auf dem schwarzen Wasser fährt eine schlohweiße Gestalt dahin. Klar und verheißungsfroh klingt ihre Melodei: Die Zeit dem jungen Morgen entgegen.
Vor Listrup kriegt mein Fahrtgenosse die Seekrankheit (Es kann auch Heimweh sein!) Auf jeden Fall: Er will nach Hause. Ich paddle ihn schleunigst zur nächsten Bahnstation und liefere ihn auf. - -
- Bild: (Mein Schlepper auf der unteren Ems.)
Nun fahre ich allein die Ems hinab; der Fluß mein Begleiter, das Boot mein Freund, Land und Tiere meine Unterhaltung. - Mir ist so froh und weh und leicht ums Herz... Früh bin ich ausgefahren. Ich wollte die Kühe wecken. Das war ein feines Bild: Endlos die Weiden ringsum. Kraftstrotzende Kühe zusammengerollt wie Zaunigel; alle schwarzbunt. Am Ufer ein früher Angler: Der Reiher. Voll gespannter Erwartung äugt er auf das Wasser herab; wohl fünf Minuten. Dann fliegt er ab, scheltend über die dummen Langschläfer!
59
Die Kühe wollte ich wecken! - Durch die hohle Hand brülle ich in den stillen Morgen hinaus, einmal, zweimal; drei – da plötzlich kriegt einer der Fleischkolosse Kopf und Bein und Leben und hoch aufgerichtet steht der Bulle unter den Kühen. Zuerst schaut er verwundert um sich, dann sperrt er sein Maul riesig weit auf und läßt sein Nachwächterhorn erdröhnen, daß es das ganze Emstal hinunterhallt. Da wird es überall lebendig! Ein allgemeines Stimmen hebt an und dann ein gewaltiges Orgelkonzert!„O schaurig ist's über's Moor zu gehen,“ schauriger mit dem Boot hindurch zu fahren. Die Nacht ist rabenschwarz. Flüssiges Pech der Fluß. Unheimlich vermummte Gestalten ducken sich hinter des Ufers Röhricht. Hin und wieder ein verhaltenes Rauschen und Knacken. Dann Totenstille.
... Die Mitternacht ist vorüber. Da leuchtet eine helle Flamme über die dunklen Wasser; immer näher kommt das Licht. Auf dem Ufer hockt eine Heidehütte; eine Herberge für Schiffer und fahrendes Volk -
Hinter Branntweingläsern brüten dunkle Männer; unheimliche Gesellen sind es, aber Menschen von Fleisch und Blut, Menschen wie du. Ich sitze vor der Haustür auf einem Kiesel; bald summt der Kessel. Ich werde wieder warm, und das Auge sieht wieder „richtig“.
[Bild: „Meine Pünte“ am Ziel: im Hafen von Emden]
Gegen Mittag hänge ich im Schlepptau der „Wetag 90“. Pfeilschnell fahren wir die holländische Grenze hinunter. Immer zahlreicher werden die Schleusen, aber das Umtragen ist (Gott Dank) vorüber. - - Ich bin „Matrouse“ geworden. Mit Minke O. und Meinert M. gut Freund. Wir essen und schlafen in derselben Kajütte. Den ganzen übrigen Tag sind wir auf Deck. Hei! ist das ein Leben an Bord. Bei Herbrunn liegen wir den Sonntagmorgen am Pohl. Der schwere Seeanker wird flott gemacht, und dann geht's bei Flut in die rauschende untere Ems hinab, in den weiten, weiten Dollart hinein. Ein unbeschreibliches Bild. Wie Ameisen kreuzen Fischerboote und Zollschiffe und Schlepper und Kräne.
59
Im Hafen aber liegen dickbäuchige Seeschiffe, die zu großer Fahrt rüsten.
Die Nacht verbringe ich „bummelnderweise“ in Emden: über die Mauern des Außenhafens äugt der Vollmond in meine heiße Bouillonsuppe herein und grinst meine beiden Kostgänger aus.
Um 4 Uhr morgens fahre ich nach Norddeich und dann nach Norderney: Das Meer, die Unendlichkeit hat mich wieder.
60
[Drei Meeresbilder]
„Ich will zur schönen Sommerzeit ins Land der Franken fahren.“
„Ich will zur schönen Sommerzeit ins Land der Franken fahren.“
Herbst 1925.
Auf der Burg wollten sich die Mädchen treffen. –
Wir Jungens tagten auf einer Spessartalme: Ein malerischer Ring, hebt sich unser Zeltdorf von den bewaldeten Höhen freundlich ab. Die Häuser sind weiß, grün, braun und grau. Von jedem First grüßen muntere Wimpel. Vor dem Zelte der „Kohlenkastenleute“ (prasselt) knattert ein schwarzes Banner; und die Österreicher haben einen Haarbänderladen ausgekramt. In Einsiedeln feiern wir hl. Messe mit Fiedeln und Pfeifen. Dann beginnt das Treffen, oder es sollte vielmehr beginnen. Aber den Österreichern, Schlesiern und anderen ist es schon in die Bude geregnet und sie schneiden solange trübsinnige Gesichter, bis die „Bundesleitung“ zum Aufbruch blasen läßt. –
62
Geyer“ singen, verhandelt er mit den „Kaiserlichen“:
„Wir sind doch keine Waschlappen!“ –
„Darum gehen wir ins Trockene!“ –
„Wir sind doch keine Kinder!“ –
„Darum fügen wir uns der Mehrheit!“ –
„Wir sind doch keine Mädchen!“ –
„Wenn „wir“ auch so aussehen!“ - (das soll seinem........ wallenden Haarbusch gelten.)
Das Aufbruchsignal ertönt noch einmal, einige der „Bauern“ murren noch ein wenig: „Ja da muß wohl an der Leitung etwas nicht in Ordnung sein“, aber die große Menge gibt sich geschlagen. – Auf dem Rückmarsch hangen alle blutroten, pulverschwarzen und feuergoldenen Banner auf „Halbmast“. Nur die „Haarbänder“, die himmelblauen und rosaroten „Vereinsfahnen“ freuen sich ob der „Heimkehr nach Muttern“. – Aber fast lautlos verklingt ihr Liedchen: „Heute wollen wir ein Ränzlein schnüren“ in dem Chorus der Bauern: „Geschlagen ziehen wir nach Haus, Heia, hohooh, uns ́re Enkel fechten ́s besser aus, heiahohooh“! – Am folgenden Tag ist ́s „natürlich“ heller Sonnenschein: Wir fahren zur Maienwiese hinüber und setzten das Treffen fort.
Dienstag ist ́s - glaube ich -. Da zieht der ganze Bund in den Spessart hinaus. Wir wollen uns freuen: Die Jungens kloppen sich und die Mädchen tanzen. Auch sonst wird noch allerlei Koks u. Tünt getrieben: „De Sunn is uffegaon un is fürsti schön g ́si!“ - - Lies das im „Pfad“ nach.
63
(Diese Gedanken, die sich in enger Stube nicht hätten entwickeln können fanden einen glücklichen Rahmen auch in den folgenden Tagen, in den Tagen der Fahrt durch das fränkische Land)
Mit einem westfälischen Pinselquäler bin ich (durch das malerische Zellingen) nach Würzburg getippelt. Die „Wirteburch“ wimmelte schon von „Heillosen“, und als ich die neu ankommenden Essener im Scherz fragte, weshalb sie mir immer nachgelaufen kämen, antworteten sie bibelfest: „Wo das Aas ist, da versammeln sich die Erdburn.“
[?]
Die Würzburger führten uns mit echt schwäbischer Gemütlichkeit durch Stadt und Festung. (Die Hitze in den umliegenden Weinbergen hatten wir schon auf unserer Herfahrt
64
hinreichend gekostet, so daß wir jetzt großmütig darauf verzichteten). Auf freiem Platz umrahmen die gefälligen Formen der Residenz das Denkmal Walters von der Vogelweide „und bereiten stimmungsvoll auf ein reiches Treppenhaus vor. [?]
Im „Roten Ochsen“ (in Franken heißt jedes dritte Gasthaus so) Im „Roten Ochsen“ gab es für 35 Pfennig einen üppigen Knödelfraß.
Von Würzburg aus geht es durch die offenen, blühenden Mainlande nach Ochsenfurt.(Die Sage rauscht ein altes Lied: Hier hausete Hans Stock der Schmied.) In einem der verräucherten Zimmer eines Stadttores finde ich feine Bleibe. –
Rothenburg o/T. – Wie lieb bist du mir geworden mit deinen lauschigen Winkeln, deinen Mauern und Türmen, deinen Toren und Wehrgängen. Zwei frohe Tage durfte ich in dir verbringen und zwei Nächte in der Herberge, die wie ein Schwalbennest an deiner Mauer klebt. – Doch du selbst mögest von deiner Schöne sprechen mit deinen Bildern und Inschriften „aus der guten alten Zeit.“
65
[1 Seite mit drei Bildern von Roth]
66
1.„Wer guter Meinung kommt herein,
Der soll uns sehr willkommen sein.
Wer aber anders kommt herfür,
Der bleibe lieber vor der Tür.“
3. „Im Hause meiner Väter
Klopf ich allhier das Leder.
Und mache meinen Reim dazu
Und sorge nicht wer's nach mir tu.“
5.„An diesem Ort einst zechten sehr
Der Stadtrat und die Bürgerwehr. Ahmt solches nach in gleicher Weise: Erquicket euch bei Trank u. Speise.“
7. „Herr, der Du Segen teilest aus
Gib ihn auch mir und meinem Haus.“
2.„Zum Rosenbänk heißt dies Haus allhier;
Drei gülden Röslein sind sein' Zier.
Glaub' Lieb' und Hoffnung die drei sind
Nichts bess'res man auf Erden find't.
4.„Dem Bäcker ist das Hauptgebot,“
Nimm kein schlechtes Mehl zum Brot,
Sonst ist alles - Müh und Kunst,
Schweiß und Arbeit - ganz umsunst.“
6.„Es freuet sich ein Wandersmann
Wenn er trifft ein gut Wirtshaus an. Wo Wirt und Wirtin freundlich sein, Kehrt man am allerliebsten ein.“
8. „Gott segne dieses Haus
Lass Not und Sorgen heraus.“
9.
„Durch des Metzgers Kunst darf das Schwein
In allerfeinster Gesellschaft sein.“
67
Am letzten Abend „da ich muß scheiden“,erklingen auf der Stadtmauer die Fiedeln der Tirolerbuben, und alle die lieben alten Weisen von Scheiden und Wiederkehren, sie werden wieder Wirklichkeit: „Ade zur guten Nacht, jetzt wird der Schluß gemacht, daß ich muß scheiden.
Im Sommer wächst der Klee Im Winter schneit's den Schnee. Dann komm' ich wieder. –
Dann sind wir auf den Marktplatz gezogen, und im Kreise der Bürger hub der Nachtwächter zur Klampfe an. „Hört ihr Herrn...“ Bei „Menschenwachen“ setzten die Fiedeln ein; und wir Jungen und Mädel sangen den Chor: - - -
Ich bin mit dem Zügle gefahren, doch schon in Dombühl werde ich das Gefahrenwerden wieder leid, und mit meinem neuen Fahrtgesellen, einem Heilbronner „Schwäble“ gehe ich fechten und Bleibe suchen. - In des stillen Abends Frieden hocken die Giebeldächer des fränkischen Dorfes beieinander. Ein rechter Heuschober hat uns aufgenommen; durch Spalt und Riß folgt uns der laue Abend.
-Täglich umfängt mich mehr und mehr der Friede des fränkisch-schwäbischen Landes. (Fritz Mielert hat einige dieser Winkel in seinen „Verträumten Städten“ geschildert):
Dinkelsbühl. Überall Win
68
kel, wo da Märchen wohnen“ könnten, Mauerturm wo die Eulen nisten. – Der Abend bringt Regen. Wohligen Gefühles schlendere ich im Straßenschmutz umher und lasse des Gewitterabends ganze Macht auf mich einwirken. Anders klingt derselbe Donner in diesem alten Turmzimmer, anders in der Großstadt – Am Abend, da ich heimkehre, will ich ein Lied singen von alten Brunnen und einfachen Leuten; Am Morgen aber brumme ich zum Wirbel ungezählter Donnerschläge einen wilden Schlachtgesang:
Rumplerebum, rumplerebum. Die Windsbraut brüllt, der Dunner geht um.
Rumplerebum, rumplerebum. Du darfst nit liegen steif und krumm.
Du sollst itzt streiten gen grimme Macht.
Grau ist der Tag, schwarz war die Nacht. –
Harburg könnte ein Bild von Schiestl sein, wenn es der Herrgott nicht gemalt. – Sanft wellt sich das Gelände; üppig sprießt auf den Hängen das Gras, nur hier und da unterbrochen; - nein, belebt – von einem sanft rieselnden Bächlein, von einem schneeweißen Fußsteig. Im Tale träumen helle Giebeldächer und von wogendem Feld grüßt die Burg, die Harburg. - -
Donauwörth. Auf der Wörnitz arbeiten die Fischer mit ihren Spatenrudern. Bis die Nacht hereinbricht schaue ich ihnen traumverloren zu. – Dann sitze ich im Wartesaal und schreibe mir die Finger lahm und die Augen müde. - -Halb schlafend fahre ich durch die blaue Nacht. Nur das Stoßen der Räder und der Lärm auf größeren Haltestellen schrecken mich aus meinen Träumen auf.
München: Die Uhr des Telegrafenamtes am Bahnhofsplatz zeigt 12.00 – Mitternacht – und doch sind die Straßen fast so hell wie am Tage. Ich laufe solange, bis die Beine müde
69
[1 Seite mit 2 Bildern]
70
werden und der Affe drückt. – Einige kalte Stunden am Bahnhofsplatz und mich umfängt die Großstadt. – Einen Tag über lasse ich das äußere Getriebe auf mich einwirken; dann bringt mich der Freitag in den Reih'n ernster und lachender Musen: Die „Akademie der Künste“ und die „Neue Staatsgalerie“ (Gemälde von Stuck: Der Krieg!) – Samstag. - Mariä Himmelfahrt. Machtvoll umfängt mich der Bau unserer lieben Frauen Kirche. Rauschend quillt der Choral des gemischten Chores und Orchesters. Feierliches Hochamt! - Wie tief das Wort ist, wenn man es recht zu erfassen sucht. - Vielleicht war es auch die hl. Messe die mich die Glyptothek recht erleben ließ. - Den ganzen Nachmittag weilte ich im „Deutschen Museum“. Die Zeit langte kaum, über ein oberflächliches Schauen hinauszukommen. Es ging durch künstliche Bergwerke und Solquellen, durch das Reich der Technik bis hinauf zu schwebenden Flugzeugen. - - -
Wieder ist es Abend geworden: Die Zeit zum Sammeln: Es sind der Eindrücke zuviel, die auf mich einwirken. Ich möchte hinaus in den Frieden der Alpen; doch über mancher Schöne lagert noch ein dichter Schleier – ich will, muß noch einige Tage bleiben. - dann Ruhe und Vertiefung! In der alten Pinakothek traf ich meinen früheren Fahrtengesellen Gerd Klumpe und mit ihm Kl. Hugenroth. - Jetzt liegen beide Pinakotheken so weit hinter
71
mir als die Entenbachstraße von ihnen entfernt ist – aber noch umspielen immer mich Farben + Formen
Am Dienstag Mittag breche ich von München auf. Höher der Sonne entgegen! Am Abend finde ich auf einem oberbayrischen Gute feine Bleibe und glänzende Verpflegung: (Spiegeleier) ( 32.5 km waren es von München hierher.) Am Mittwoch laufe ich, vorbei am Kochel- +vorüber am Walchensee (Walchenseewerk) nach Waldau, dem Zentrum einer malerischen Alpenlandschaft; (weidende Herden, schindelgedeckte Hütten, ragende Felswände) Leider ist mein Plattenvorrat zu Ende; trotzdem wird mir mancher Ruheplatz unvergeßlich bleiben. - -Donnerstagmorgen 10.30 „Mittenwald (und damit die öster. Grenze) ist erreicht. Von München her bin ich 98 km gelaufen, meine Fußsohlen sind wund, doch ich fühle mich „sauwohl“ Gleich, d. h. 1.10 fahre ich nach Innsbruck weiter. Dort kaufe ich mir noch zwei Platten dann ist der Draht zu Ende“. So schrieb ich von der Grenze nach Haus. Doch der Mensch dachte mal wieder und der Pförtner des Canisius in Innsbruck lachte. - Aber das kommt später. Zunächst muß ich mir noch 2 M für einen Grenzschein abknipsen lassen d. h. mit anderen Worten, das Plattenkaufen und das Photographieren ist zu Ende. - Fein aber ist die Bahnfahrt durch den Karwendel. Hinweg geht es über lachende Täler und hindurch durch graue
72
Felswände. Aus Wolkengebirgen aber leuchten weiße Felsspitzen hervor und auf hoher Alm springen Geißen und Hütebuben um die Wette.
Innsbruck Glücklich, wer in deinen ewigen Mauern noch einige Mark außer seinem Fahrgeld besitzt, glücklich aber auch, wem die Gastfreundschaft eines Jesuitenbruders zuteil geworden. Wenn ich auch noch zu gern einige Aufnahmen gemacht, wenn ich auch noch zu gern den König der Seen geschaut hätte: Ich habe eine Welt gesehen, wie ich sie bisher nur in der Phantasie geschaut: Die ewigen Alpen – Und wie ich heimgekommen? Wer ohne jede Barmittel in der vierten Klasse eines Bummelzuges halb Deutschland durchfährt, der sagt so etwas doch nicht!