"Gerechtigkeit schreibt man nicht mit einem Umlaut, sondern mit einem ,e'", erklärte plakativ der vielfach ausgezeichnete, aus Tiflis in Georgien stammende Musikwissenschaftler und Literat Dr. Moisei Boroda. Der Klang ist ähnlich, der Sinn ist ein komplett zwischen den Worten "gerecht" und "gerächt".
Auf Einladung des Bemhard-Poether-Arbeitskreises gestaltete er am Sonntagnachmittag im Pfarrzentrum St. Clemens zum zweiten Mal eine Gedenkveranstaltung.
Dieses Mal war der Anlass die Reichspogromnacht von 1938. "An diesem Wochenende haben wir einige Gedenktage: 81 Jahre, 30 Jahre. Die Erinnerung an die Pogromnacht ist angesichts des Angriffs auf eine Synagoge in Halle wieder zum aktuellen Thema geworden." Mit diesen Worten führte Pfarrer em. Ewald Spieker den Gast des Abends ein.
Dr. Boroda eröffnete das Programm mit einer Bilderabfolge, unterlegt mit einigen Explosionsgeräuschen und dem "Wiegenlied" aus dem Vokalzyklus "Wir schreiten zum besseren Morgen". Fotos der brennenden und zerstörten Synagogen wechselten sich ab mit Zitaten der NS-Führung und den Aufnahmen von den ersten Massenübergriffen auf die jüdischen Bevölkerungsteile in ganz Europa.
Kultur und Moral ließen sich nicht nach Originalplänen wie zerstörte Gebäude wiederaufbauen, das strich Dr. Boroda in seinen Ausführungen und bei der Zusammenstellung der vorgelesenen Erzählungen heraus.
Von einer Mitschuld könne sich kein europäisches Land mit einer jüdischen Minderheit freisprechen. Polen und Litauen haben ihre Mitschuld an den Massakern bis heute nicht eingestanden und werden es auch nicht tun, zeigte sich Dr. Boroda überzeugt.
"Eine der größten Kulturnationen Europas hat über 50 Jahre gebraucht, um seine Schuld halb anzuerkennen", spielte er auf die Rede von Jacques Chirac aus dem Jahr 1995 an.
Nicht zufällig wählte er dabei die beiden vorgestellten Erzählungen aus den beiden Ländern Litauen und Frankreich aus. In beiden als Dialog aufgebauten Beiträgen zeigte er die Mechanismen auf die zum Hass, zum Wegsehen und zum Leugnen der Geschichte des Antisemitismus führten, häufig auf familiärer Ebene, fest verankert im Alltag und daher umso schwerer zu überwinden.
Das Vergessen als die bequemere Alternative sollte es laut Dr. Boroda nicht geben, das Aussprechen der Wahrheit ist für ihn, der an vielen Erinnerungsprojekten zur jüdischen Geschichte beteiligt ist, sein einziger Beweggrund, Vorträge wie diesen mit anschließender Diskussion mit dem Publikum zu veranstalten.
Quelle: WN, 12. November 2019, Lokalseite, Autorin: Maria Groß
Ein weitere Artikel zu dieser Veranstalung erschien auf der Webseite "Christliches Forum"