Die Suche nach einer ominösen Gedenktafel für Bernhard Poether führt zu einem vergessenen Zeitzeugen und zu einem bemerkenswerten Baustein deutsch-polnischer Erinnerungskultur
In früheren Veröffentlichungen über Bernhard Poether ist vielfach von einer Gedenktafel die Rede, den angeblich der Bund der Polen in Breslau 1960 gesetzt haben soll, um an Poether zu erinnern. Reinhold Otzisk berichtete davon 1979 in seiner Poether-Biographie und führt als Quelle eine nicht näher aufgeschlüsselte Abkürzung „WTK“ an. Auch Herbert Sowade nennt in seiner Biographie von 2015 die „Gedenktafel in Breslau“, die ein nicht näher bezeichneter „polnischer Bund“ gestiftet haben soll.
Diese Überlieferung gab Anlass zu vielerlei Vermutungen – und zur Suche nach dem Gedenkstein in Breslau. Doch Ort und Zeitpunkt lassen bereits vermuten, dass die Überlieferung so nicht stimmen kann. Gegen sie spricht auch die Überlegung, dass der „Bund der Polen in Deutschland“, 1922 gegründet, eine Auslandsorganisation war und ist – und dass es eher unwahrscheinlich ist, dass er ausgerechnet in der seit 1945 polnischen Stadt Breslau / Wrocław aktiv geworden sein soll, die nicht zu Poethers Lebensstationen zählt.
Zur Lösung des Rätsels führt das Kürzel „WTK“. Dahinter verbirgt sich, wie Recherchen in der Universitätsbibliothek Breslau / Wrocław ergaben, die Wochenzeitung „Wrocławski Tygodnik Katolików“, zu deutsch: Breslauer katholische Wochenzeitung. Sie wurde von der Breslauer Erzdiözese und der Laiengruppierung PAX zunächst in Breslau, seit 1958 in Warschau herausgegeben und erschien in einer Auflage von etwa 55.000 Exemplaren. Erster verantwortlicher Redakteur war Tadeusz Mazowiecki, der spätere erste nichtkommunistische Ministerpräsident Polens (1989-1990).
In der Ausgabe Nr. 8 vom 21. Februar 1960 findet sich an prominenter Stelle eine ausführliche Lebensbeschreibung in polnischer Sprache unter der Überschrift „Der Priester Bernhard Poether opferte sein Leben für die Gerechtigkeit“.
Autor des Textes war Jan Markowski. Er stellte sich im WTK vor als „ehemaliger Vertrauensmann bzw. Ombudsmann der Vereinigung der Polen der Stadt Bottrop“, der letzten Wirkungsstätte Poethers. Am Schluss seines Berichtes erwähnt Markowski die Gedenktafel:
„Den Polen wird er (Poether) für immer als ein Beispiel eines Menschen und Priesters bleiben, der Gerechtigkeit und Wahrheit über alles stellte. Auf der von der Vereinigung der Polen gestifteteten Erinnerungstafel zur Erinnerung an jene, die deren Leben für die ,polnischen Belange’ gelassen haben, steht Kaplan Bernhard Poether an erster Stelle. Die Erinnerung an ihn möge bleiben.“
Einen genauen Ort der Tafel nennt Markowski leider nicht. Dieses Rätsel also bleibt weiterhin offen. Alles deutet darauf hin, dass die Erinnerungstafel in Bottrop oder einer Nachbarstadt im Ruhrgebiet und sicherlich nicht in Breslau oder einem anderen Ort in Polen zu suchen ist. Ein entsprechender Suchaufruf in der WAZ vom 20. Oktober 2017 blieb bislang leider ohne Echo.
Immerhin ist Bemerkenswertes über den Autor Jan Markowski bekannt: Kurz nach der Veröffentlichung seines Textes im WTK schrieb er im März 1960 der Schwester Poethers einen Brief, verfasst in deutscher Sprache. Der Brief ist erhalten geblieben und wird im Bistumsarchiv Münster aufbewahrt, wurde aber bislang aufgrund eines Lesefehlers einem „Jan Machowsky“ zugeordnet. So konnte der Brief bislang nicht mit dem WTK-Bericht und der vermeintlichen Erinnerungstafel in Verbindung gesetzt werden.
In dem Brief an Maria Poether schrieb Markowski: „Ich war einer der neun Leidensgenossen, für die er (B. Poether) sein Leben einsetzte.“ Und weiter: „Im Bottroper Polizeigefängnis war er für uns wie ein vom Himmel gesandter Engel, der uns Trost gab, auch Zuversicht, dass die Rachegefühle der Nazis ein strafbares Ende haben werden.“
Den brieflichen Ausführungen zufolge blieb Markowski sechs Monate in Haft, anschließend zwei Jahre unter Gestapo-Aufsicht und später „bespitzelt bis zum Ende des Krieges“. In Bottrop erlebte er den Einzug der Amerikaner. 1949 verließ Markowski Deutschland, um „die letzten Jahre des Lebens in der Heimat Schlesien zu verleben“, wo er offenbar aufgewachsen war. In Polen verschlug es ihn aber aus nicht näher bekannten Gründen nach Stettin / Szczecin. Über seine Lebensumstände teilt er in dem Brief noch mit: „Bin jetzt 73 Jahre alt, bekomme Rente und habe mit Frau normale Lebensverhältnisse, habe einen Sohn mit sechs Enkelkindern“. Von Szczecin aus schrieb er 1960 den Brief an Poethers Schwester und kurz zuvor wohl auch den Bericht für den WTK.
Dieser Artikel Markowskis stellt ein bemerkenswertes Zeugnis dar – und das nicht allein des Inhaltes, sondern auch des Zeitpunktes wegen. Denn um 1960 gab es angesichts der tiefen Wunden aus der deutschen NS-Okkupation Polens sowie den Erfahrungen von Flucht und Vertreibung so gut wie keinen Austausch zwischen beiden Nachbarländern. Wie Markowski selbst, so überschritt auch sein Beitrag im WTK die Grenzen des Nationalen: Seine Lebensbeschreibung eines deutschen Geistlichen, der sich bei Kriegsbeginn „mutig für die unschuldig verhafteten Polen“ im Ruhrgebiet eingesetzt, also seinerseits Grenzen überschritten hatte, war zweifellos ein früher publizistischer Brückenschlag. Markowskis Text ist ein Beitrag, die tiefen Gräben der frühen Nachkriegszeit auf eine vielschichtige, komplexe Art zu überwinden – ein bescheidener, aber bemerkenswerter Baustein grenzüberschreitender Gedenk- und Erinnerungskultur, der seinerseits erinnerungswürdig ist.
PS: Die von Jan Markowski erwähnte Gedenktafel wird weiterhin gesucht. Sie dürfte nach allem bisher Bekannten zwischen 1945 und 1960 in Bottrop oder in einer anderen Stadt im Ruhrgebiet gesetzt worden sein. Wer Hinweise geben kann, melde sich beim Arbeitskreis.
Gisbert Strotdrees
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Dank an Dorota Trąbka, Biblioteka Uniwersytecka, in Wrocław für die großartige Unterstützung bei der Recherche, und an Peter und Bernadette Matheja, Münster-Hiltrup, für die Übersetzung des Zeitungsartikels von Jan Markowski.
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Quellen:
Jan Markowski: Ks. Bernard Poether oddał ẓycie za sprawiedlowosc. In: Wrocławski Tygodnik Katolików (WTK) vom 21. Februar 1960, S. 3.
Jan Markowski: Brief an Maria Poether vom (undatiert) März 1960. In: Bistumsarchiv Münster, Nachlass Poether, A 7. (Name des Autors bislang fälschlicherweise gelesen als „Jan Machowsky“ – Vgl. Quellenverzeichnis von H. Sowade In: E. Spieker (Hg.): Kaplan Bernhard Poether, S. 97.)
Art. Wrocławski Tygodnik Katolików. In: Wikipedia Polen (https://pl.wikipedia.org/wiki/Wrocławski_Tygodnik_Katolików) abgerufen am 20. Oktober 2019.
Michael Friese: Historiker sucht verschollene Gedenktafel. In: Westdeutsche Allgemeine Zeitung Essen, Lokalteil Bottrop, vom 20. Oktober 2017.