Quelle: WN Dienstag, 30. August 2016, Autor: Michael Grottendieck
MÜNSTER-HILTRUP. Was haben John Lennon und Anne Frank gemeinsam? Was verbindet sie mit den Menschen, die in Paris bei einem Terroranschlag starben?
Sie sind, so die Antwort, alle Opfer von Gewalt. 1500 Namen von Menschen, die gewaltsam ums Leben gekommen sind, sind in der Pax-Christi-Kirche in Essen zu lesen. Die Namen von Bernhard Poether und Karl Leisner sind darunter zu entdecken.
Es sind Namen in Stein, die mit weißer Schrift in rotbraune Keramikfliesen eingebracht sind. Es sind Menschen aller Kulturen, Sprachen und Bekenntnisse. Darunter weltbekannte Persönlichkeiten wie John F. Kennedy oder auch eher unbekannte Namen wie der von Heinz Marcisz, dem Fahrer von Hanns Martin Schleyer, eines Terroropfers der Roten Armee Fraktion.
Die Namen von 100 Orten der Gewalt wie Lockerbie, Treblinka, Hiroshima sind ebenfalls zu entdecken. Manche Namen verstören auf den ersten Blick: Die sechs Kinder von Joseph Goebbels, dem Chef-Propagandisten der Nationalsozialisten, finden sich ebenfalls. Aber sind sie nicht auch Opfer von Gewalt geworden?
„Wir bewerten die Menschen nicht“, sagt ein Vertreter der Pax-Christi-Gemeinde. „Allen wurde durch Gewalt das Leben genommen.“
Weil der Name des in Hiltrup aufgewachsenen Kaplans Bernhard Poether ebenfalls in der Gedenkstätte anzutreffen ist, hat eine größere Gruppe aus der Gemeinde St. Clemens am Wochenende auch in der Pax-Christi-Kirche einen Zwischenstopp eingelegt. Der Gedenkort ist bis dahin den Fahrtteilnehmern kaum bekannt gewesen und hinterließ einen nachhaltigen Eindruck.
Bottrop und Essen lauteten die Ziele der ganztägigen Fahrt. In Bottrop wurde die Gemeinde St. Joseph besucht und damit auch das Pfarrhaus, in dem der junge Kaplan am 22. September 1939 drei Wochen nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges festgenommen wurde.
Früh morgens kam die Gestapo. Pfarrer Bruns las in der Kirche die Heilige Messe.
„Sag deinem Onkel, dass sie mich abgeholt haben.“ Das waren die letzten Worte, die der Kaplan der Nichte des Pfarrers zurief.
Mehrere Monate wurde Bernhard Poether im Gefängnis Bottrop festgehalten, anschließend kam er in Isolationshaft im Konzentrationslager Sachsenhausen. Die letzten 16 Monate seines Lebens verbrachte er im Konzentrationslager Dachau, wo er am 5. August 1942 starb.
„Die Wahrheit zu sagen in der Nachfolge Christi, kann den Kopf kosten“, sagte der Pfarrer der St.-Joseph-Gemeinde, Martin Cudak, als er über den Kaplan sprach, der sich in Bottrop großer Beliebtheit erfreut hatte. Entsprechend lebendig ist die Erinnerung. Seit 2013 gibt es in der Kirche eine Gedenkstätte. Sie ist Bernhard Poether sowie dem bislang einzigen Seligen des Bistums Essen, Nikolaus Groß, gewidmet. Bereits seit dem Jahr 2007 gibt es einen Stolperstein und seit 2012 eine Tafel direkt am Pfarrhaus. Eine Alten- und Begegnungsstätte trägt seit 1979 seinen Namen.
Eine Fahrt in das Ruhrgebiet ist stets eine Konfrontation mit einer Kirche, die dramatisch an Mitgliedern verliert. Nach der Umstrukturierung vor zehn Jahren gehören zur Gemeinde St. Joseph neun Filialkirchen und 23.000 Gläubige. Nun sind die Gemeinden von Bischof Overbeck aufgefordert worden, sich bis 2017 Gedanken zu machen, wie ihre Infrastrukturen den Realitäten angepasst werden könnten. Der Pfarrer erklärt: „Wir müssen nochmals die Hälfte einsparen.“